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Die große Liebe in der Psychiatrie

■ Neu im Kino: „Angel Baby“ von Michael Rymer

Diese Blicke kennt man: Jede Liebesgeschichte fängt mit solchen Augen an, die einander suchen und ineinander versinken. Und wenn in dem australischen Film „Angel Baby“ Harry zum ersten Mal Kate ansieht, weiß man sofort, daß sie füreinander bestimmt sind. Aber die beiden begegnen sich in einem psychiatrischen Therapiezentrum; denn Harry und Kate leiden an immer wiederkehrenden Psychosen. Und während der Regisseur Michael Rymer von ihrer großen Liebe erzählt, zeigt er uns auch, von welchen Zwängen, Ängsten und Alpträumen die beiden heimgesucht werden.

Mit beängstigender Intensität führt uns dieser Film in die Seelenlandschaften der beiden Liebenden. Durch eine sehr subjektive Kameraführung sehen wir meistens die Welt mit ihren Augen und erkennen, welche Anstrengung es sie kostet, die alltäglichsten Dinge zu bewältigen. Denn Harry und Kate wollen nichts sehnlicher als ein ganz normales Leben in trauter Zweisamkeit führen – mit Wohnung, Arbeit und Kind. Aber das „normale“ Leben bleibt für sie immer unerreichbar, und es ist herzzerreißend, mit ansehen zu müßen, wie die beiden sich bei diesem immerwährenden Kampf mit den inneren Dämonen mit allen Kräften umeinander bemühen.

Wohl am überraschendsten an Rymers Debütfilm ist, wie es dem Regisseur gelingt, die Welt von Harry und Kate als in sich stimmig und logisch zu beschreiben. Kate muß unbedingt an jedem Tag zu einer bestimmten Zeit im TV die Game-Show „Glücksrad“ ansehen; denn die dort zu ratenden Songtitel, Sprichwörter und Redewendungen sind für sie Botschaften von einem höheren göttlichen Wesen. Nur nach einer entsprechenden Nachricht läßt sie sich mit Harry ein, und ihr schlimmster psychotischer Schub beginnt, nachdem die Show für einige Zeit ausfällt. Natürlich ist es ein dramaturgischer Trick von Rymer, daß die Botschaften auf dem Glücksrad immer genau ins Schwarze treffen, aber als Zuschauer beginnt man unwillkürlich, mit Kate zusammen vor dem Bildschirm die Buchstabenkombinationen zu entschlüsseln und zu deuten. Nach einiger Zeit kann man auch genau nachvollziehen, warum Harry unmöglich an der Kasse in einem Supermarkt den angezeigten Preis bezahlen kann - weil die Quersumme der Zahlen das Schicksal in ungünstige Bahnen lenken würde.

Jaqueline McKenzie und der englische Schauspieler John Lynch (“Im Namen des Vaters“) sind ein schönes Paar (das ist bei Romanzen immer noch das Wichtigste), und sie spielen die beiden Liebenden so einnehmend und intensiv, daß der letzte Akt wirklich ans Herz geht. Da wünscht man sich dann beinahe, der Film wäre nicht so gut und überzeugend gewesen – dann bräuchte man nicht so mit Harry und Kate zu leiden.

Wilfried Hippen

Cinema tägl. 21 Uhr

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