Die große Imaginationsmaschine

Das Berliner Globe Theater in Charlottenburg spielt von Juni bis September Shakespeare und mehr. Noch Open Air, bald aber in einem überdachten Theaterrundbau aus Holz

Ein Blick in die Zukunft: So kann das Globe in Berlin aussehen, wenn die Bauteile aus Schwäbisch Hall alle genutzt sind Foto: Abbild.: MARS Architekten

Von Tom Mustroph

Wenige Tage vor der Premiere der „Komödie der Irrungen“ gehörte das Areal des neuen Globe im Norden Charlottenburgs noch den Handwerkern. Es wurde geschraubt, gebohrt und gesägt, Balken wurden aufgerichtet und Stützpfeiler befestigt, sodass man sich wie im fernen Amerika fühlte – damals, als die Besiedler des weiten Westens noch zusammenkamen, um gemeinsam Scheunen und Wohnhäuser aus dicken Balken zu errichten. Es war ein Gewusel und Gewimmel. Auch der Wasseranschluss musste noch repariert werden.

Mittendrin probte das Ensemble die neue Produktion „Komödie der Irrungen“. Manchmal sahen die Handwerker auf. Besonders die Szenen mit Degen fanden ihren Beifall. Wer lange guckte, gar Begeisterung erkennen ließ, musste damit rechnen, von Theaterprinzipal Christian Leonard noch extra für den Theaterabend eingeladen zu werden. Der Wasserinstallateur jedenfalls versprach, später als Zuschauer zu kommen.

Für Leonard, lange Jahre Spiritus rector der Shakespeare Company, kam in dieser Szene zusammen, was zusammen gehört: Theater für alle Schichten will er machen. „Das Globe von Shakespeare war offen für alle. Ein Penny nur kostete der Theaterbesuch. Die Leute sind nach der Arbeit hingegangen, mancher kam jeden Tag ins Theater. Es war ein intensives Leben. Unten standen die, die ärmer waren. Oben hatte der Adel seine Logen. Die Leute sahen sich, hatten miteinander zu tun. Die unten machten Witze über die da oben. Und auch die Schauspieler waren nicht von Scheinwerfern geblendet wie später im bürgerlichen Theater, sondern sie sahen die, für die sie spielten“, redet er sich in Begeisterung.

Klar, damals waren die Zerstreuungsmöglichkeiten nicht so groß wie heute. Würfel spielen statt in 3D-Environments abtauchen. Fernsehen oder Streaming gab es gar nicht. Die große gesellschaftliche Imaginationsmaschine war das Theater. Und das Shakespeare’sche ganz besonders, wenn man den Archiven traut.

Den Globe-Virus, und damit auch den Shakespeare-Virus, hat sich Leonard früh eingefangen. Er war oft im Londoner Globe. Als sich die Gelegenheit ergab, ein eigenes Globe Theater zu erwerben, schlug er zu. 2016 ersetzte die Stadt Schwäbisch Hall ihr hölzernes Globe durch ein steinernes Haus, Leonard erwarb die Holzkonstruktion.

Dass sie noch immer lediglich in Rudimenten steht, hat auch mit der Berliner Bürokratiemaschine zu tun. Einen Pachtvertrag auf dem Gelände neben dem Sömmeringsportplatz bekam Leonard zwar recht schnell. „Früher parkten hier die Schiedsrichter ihre Autos und am Zaun gingen die Zuschauer der Fußballspiele pinkeln“, beschreibt er das vortheatrale Geschehen.

Aber um das komplette Globe zu errichten, braucht es eine Änderung des Bebauungsplans. Und das zieht sich hin. Nicht so lang wie am Flughafen am anderen Ende der Stadt, aber es dauert.

Immerhin ist Leonard kreativ. Teile der Globe-Konstruktion sind in das runde O, die aktuelle Open-Air-Bühne, eingeflossen. „Acht Mann, vier Ecken“ beschreibt Leonard das Procedere, mit dem die schweren Holzkonstruktionen an Ort und Stelle bugsiert wurden. Jetzt bilden sie den kreisrunden Rahmen dieses ungewöhnlichen Theaters.

Weitere Elemente haben mittlerweile ans O angedockt. Das Oktagon, eine geräumige achteckige Holzkonstruktion, stammt von der Ruhrtriennale. Sie beherbergte zuvor das Transall-Flugzeug, das einst als Festivalzentrum diente. Daneben befindet sich ein Pavillon, konstruiert von Studierenden der Beuth Hochschule für Technik. „Die Studierenden waren im Flüchtlingslager von Moria, kurz bevor das Feuer dort ausbrach. Sie waren so schockiert von den Bedingungen, dass sie dieses modulare Objekt kreierten. Es kann Verkaufsraum, Ruheraum oder Gebetsraum sein“, erzählt Leonard.

Inhaltlich passt dieses Gebäude zur Beherbergung von Geflüchteten perfekt zum Jahresprogramm. „Zorn und Zuflucht“ wählte Leonard als Spielzeitmotto. Zorn über die Zustände der Welt, aber auch Zorn darüber, als Künstler in den letzten Monaten stillgestellt worden zu sein, erklärt Leonard. Zuflucht will das Haus auch sein. Für Künstler*innen, die anderswo keine geeignete Auftrittsheimat finden wie etwa die Choreografin Isabelle Schad, die wie im Vorjahr hier zu Gast ist. Aber auch für Geflüchtete, deren Gedichte eingeflossen sind in Leonards Neufassung der „Komödie der Irrungen“.

Die ist letztlich ein Flüchtlingsdrama, erzählt allerdings im spritzigen Tonfall einer Komödie. Die Protagonisten sind Schiffbrüchige. Die Familie wird beim Schiffbruch getrennt, die Suche nacheinander dauert ein halbes Leben. Der Komödiencharakter kommt durch Verdopplung ins Spiel. Gleich zwei Zwillingspaare, eines auf der Ebene der einstmals gutsituierten Familie und das andere als Dienerpaar, fährt Shakespeare auf.

Als Leonard die Gelegenheit bekam, ein Globe Theater zu erwerben, schlug er zu

Dieses Verdopplungsprinzip führt Globe-Aficionado Leonard übrigens auf die besondere Architektur dieses Rundtheaters zurück: auf die Stützpfeiler, die sich gegenüberstanden und so zur Verdopplung geradezu einluden. Auch vertikal wurden sie genutzt. „An ihnen konnte ein Luftgeist von oben kommen und ein Erdgeist von unten“, meint Leonard.

Wer Shakespeare noch einmal anders verstehen will als an den großen, in der Spielrichtung aber beschränkten Theatern dieser Stadt, muss wohl ins Globe kommen. Auch bereits in die provisorische Open-Air-Bühne.

„Prolog-Saison“ nennt Leonard diese Spielzeit, Vorspielsaison, solange das richtige, überdachte Globe noch nicht errichtet ist. Die mächtigen Stützpfeiler werden im Juni übrigens mit mehreren Sattelschleppern von Schwäbisch Hall aus nach Berlin gebracht. Eine Crowdfunding-Kampagne über 60.000 Euro finanzierte den Transport.

Für den Herbst hofft Leonard, dass der Bebauungsplan verabschiedet wird. Erst dann kann er die 1,1 Millionen Euro, die die Lottostiftung bereits vor drei Jahren bewilligte, verbauen. „In Schwäbisch Hall haben sie damals zwei Wochen für die Montage gebraucht. Ich plane sicherheitshalber drei Monate ein“, sagt Leonard noch – und nicht wegen der schon in der ganzen Welt berüchtigten Berliner Langsamkeit im Bauen, sondern auch, weil die Montage aus schon gebrauchten und umgenutzten Teilen natürlich komplexer ist.

Aber jetzt startet erst einmal die mittlerweile dritte Prolog-Saison an der Sömmeringstraße.

Informationen zum Programm unter www.globe.berlin