■ Die fünf Atommächte und der Konflikt zwischen Indien und Pakistan: Gescheiterte Deeskalation
Was werden Sie tun, wenn Indien und Pakistan trotz aller Ermahnungen und Appelle der fünf offiziellen Atomwaffenmächte ihre Tests fortsetzen? Madeleine Albright, sonst immer schnell bei der Hand mit einer druckreifen und kompetent klingenden Antwort, kam ins Schleudern. Ihr lag bereits ein verschlüsseltes Kabel aus dem Pentagon vor, daß Pakistan einen Test mit der atomar bestückbaren Tanuk- Rakete vorbereitet. So blieb die Frage auf der Genfer Pressekonferenz von der US-Außenministerin unbeantwortet. Wie alle ähnlichen Journalistenfragen an ihre vier Amtskollegen aus Rußland, China, Frankreich und Großbritannien.
Die Szenen aus dem Genfer UNO-Palast spiegeln das Dilemma, in das sich der atomare Fünferclub manövriert hat. In ihrer gemeinsamen Erklärung beharren die Außenminister darauf, Indien und Pakistan hätten „keinen Status als Atomwaffenmacht“, weil der Sperrvertrag von 1970 als solche nur Staaten definiert, die vor 1967 getestet haben. Das ist zwar völkerrechtlich korrekt, aber ohne jede Relevanz für die reale Weltlage. Kontraproduktiv könnte sich zudem auswirken, daß die fünf ständigen Mitglieder (P 5) des UNO-Sicherheitsrats in ihrem – in erster Linie der Atomwaffenproblematik gewidmeten Dokument – erstmals seit dem letzten indisch-pakistanischen Krieg vor knapp 30 Jahren auch den Kaschmir-Konflikt ansprechen. Gemäß der Sprachregelung Islamabads bezeichnen sie ihn als die Ursache der Spannungen mit Neu-Delhi und bieten, wenn auch keine formale UNO-Vermittlung, so doch Hilfe bei seiner Lösung an. Pakistan, seit langem um eine Internationalisierung des Kaschmir-Konflikts bemüht, kann sich nach diesem Erfolg nun von einer Fortsetzung des Spiels mit der atomaren Karte weitere Vorteile erhoffen.
Auch aus indischer Warte ist die Kaschmir-Erwähnung das zentrale Ergebnis der Genfer Konferenz und alles andere als ein Anreiz zur Deeskalation an der atomaren Front. Verschärfend kommt aus Sicht Neu-Delhis hinzu, daß die Rolle Chinas als regionale Atomwaffen-Großmacht mit laufendem Aufrüstungsprogramm an der Grenze zu Indien völlig ausgeklammert wurde. Entsprechende Sorgen Indiens tat der chinesische Außenminister als Hirngespinst ab. In seiner Funktion als derzeitiger Koordinator der P 5 erklärte er Indien zum Hauptschuldigen für den atomaren Rüstungswettlauf in Südasien. Seine vier Amtskollegen sahen tatenlos zu. Von Deeskalationsbemühungen war in Genf nicht viel zu sehen. Andreas Zumach
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