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Archiv-Artikel

Die flotten Pop-Parasiten

Im Wahlkampf bedienen sich alle Parteien der Pop-Musik, um die Jugendlichkeit ihrer KandidatInnen zu untermauern. Ein schlimmes Missverständnis, denn Pop und Politik passen nicht zusammen

VON STEFAN KUZMANY

Es war gespenstisch. Die CSU hatte sich zum Wahlkampfauftakt im August 1998 in der Messehalle am alten Münchner Flughafen Riem versammelt. Stoiber-Pappkameraden und künstliches Alpenpanorama demonstrierten Bürgernähe und Heimatverbundenheit. Irgendwie modern wollten Theo Waigel und Edmund Stoiber dazu auch noch wirken. Aber wie? Die Antwort auf diese Frage erscholl zum Auftakt der Veranstaltung aus den Lautsprechern: die Gruppe Europe mit „The final countdown“. „We’re leaving together / But still it’s farewell“ lauten die ersten Textzeilen des Welthits aus dem Jahr 1986. Eine freudsche Fehlleistung der Wahlkämpfer angesichts der drohenden Niederlage? Wohl kaum. Unbedacht? Schon eher. Text passt nicht, Band passt nicht, Stimmung passt nicht. Es galt und gilt eine immer wieder missachtete Grundregel: Politikbetrieb und Popmusik passen nicht zusammen.

Hört Stoiber Hardrock?

Jüngstes Beispiel: der Ärger der CDU mit den Rolling Stones. Die Band, gerade auf Tournee in den USA, stört sich daran, dass die Partei ihren Song „Angie“ (aus dem Album „Goats Head Soup“, 1973) auf Wahlkampfauftritten ihrer Kanzlerkandidatin Angela Merkel abspielt. Dass es sich bei „Angie“ in Wahrheit um eine traurige Ballade über das Scheitern einer Beziehung handelt – geschenkt. „Angie, Angie, they can’t say we never tried“, singt Mick Jagger – die Christdemokraten haben noch nicht einmal versucht, ihn zu verstehen. Und selbst wenn, wie die Partei behauptet, bei der Verwendung des Songs alles rechtens wäre – die CDU tut ihrer Kandidatin damit keinen Gefallen.

Wenn sich die Politik des Pop bedient, hat das stets einen schalen Beigeschmack. Jeder ahnt, dass Stoiber niemals privat eine Hardrock-Nummer hören würde. Niemand möchte sich vorstellen müssen, dass Jagger tatsächlich Frau Merkel ansingt und seine Liebe zu ihr betrauert. Als Oskar Lafontaine 1996 beim Jugend-Parteitag der SPD seinen Körper zu Techno-Klängen zucken ließ, wunderte sich die Süddeutsche Zeitung, dass sich „kein Spalt in der Erde aufgetan, kein Blitz herniedergefahren“ ist. Denn auch Lafontaines Tanzeinlage war ein allzu offensichtlicher Marketing-Gag.

Politiker im Wahlkampf, da scheint die Weltanschauung keine Rolle zu spielen, wollen sich von der Jugendkultur ein wenig Jugendlichkeit, ein bisschen Rebellentum ausborgen. Wollen zeigen, dass sie auch einmal jung waren bzw. (schlimmer!) immer noch sind. Dabei wirken sie grauenhaft jung geblieben und flott, zwei Attribute, die sich niemand zuschreiben lassen sollte, der möchte, dass ihm zugetraut wird, ein Land ordentlich und mit Weitsicht (oder wenigstens Geschmack) zu regieren.

Mit dem Geschmack ist das so eine Sache. Bundeskanzler Gerhard Schröder pflegt eine langjährige Freundschaft zu der Band „Scorpions“. Es ist ihm zuzutrauen, dass er deren Musik auch privat goutiert. Immerhin wird sich die SPD hüten, im Wahlkampf den Scorpions-Hit „Wind of Change“ (1990) hervorzukramen – das klänge, bei aller Verbundenheit, doch zu sehr nach Wechselstimmung. Vielleicht besinnt man sich bei den Sozialdemokraten doch lieber wieder (wie schon 1998) auf die abgehalfterten Ostbarden von den „Puhdys“.

Besser nicht tanzen

Bei der von Politikern gesuchten Nähe zur Popmusik drohen allerdings nicht nur Glaubwürdigkeitsverlust und Geschmacksverirrung – auch eine authentische Affinität zu den Charts schadet mehr, als sie nützt. Vor zwei Jahren konnte man den Partygast Klaus Wowereit (SPD) gegen vier Uhr morgens dabei beobachten, wie er ekstatisch zu „Hey Ya!“ der Gruppe „Outkast“ über die Tanzfläche wirbelte, das Hemd aus der Hose, die Haare wirr im Gesicht hängend, verschwitzt. Nichts gegen sein ehrliches Vergnügen – aber sieht so ein seriöses Stadtoberhaupt aus? Längst hat Wowereit einen Ruf als „Party-Bürgermeister“. Möglicherweise wird er von manchem dafür geliebt. Ernst genommen wohl von keinem.

Politiker und Musik sollten im beiderseitigen Interesse nur dann aufeinander treffen, wenn ein nicht zu missverstehender, tradierter Zusammenhang besteht: wenn Müntefering kommt und die Bergmannskapelle aufspielt. Oder Stoiber das Festzelt betritt und die Blasmusik den Defiliermarsch intoniert. Nur eine solche Beschränkung kann uns vor Maßnahmen schützen, wie sie der turkmenische Präsident Saparmurat Nijasow erst gestern ergriffen hat: In seinem Land ist das Abspielen von Musikkonserven auf öffentlichen Veranstaltungen ab sofort verboten.