: Die feige Frau, das Mobbingopfer
FRAUEN Anja Theurer und Kyra ter Horn erklären in ihrem Buch „Die große Gleichberechtigungslüge“, warum Frauen nicht unbedingt selbst schuld sind, wenn sie unter der gläsernen Decke hängen bleiben
Frauen sind selbst schuld an ihrer Lage. Diese These hatte in letzter Zeit Konjunktur. Frauenministerin Kristina Schröder befand, Frauen studierten die falschen Fächer. Ex-taz-Chefin Bascha Mika schrieb ein ganzes Buch über feige Frauen, die es sich unter der gläsernen Decke einrichten wie unter einem Glassturz, der ihre „Komfortzone“ des Halbtagsjobs behütet. Anja Theurer und Kyra ter Horn liefern nun mit ihrem Buch „Die große Gleichberechtigungslüge“ eine Art Gegenerzählung.
Die Artikulation der Autorinnen ist derb: „Wir haben die Schnauze bis obenhin voll!“ Sie haben eine Art Pamphlet verfasst. Es versammelt ihre Erfahrungen und die ihres Bekanntenkreises bei dem Versuch, in der deutschen Wirtschafts- und Verbandswelt in die Etagen mit den dicken Teppichen zu gelangen. Anekdotisch und polemisch bewässern sie mittlerweile leicht eingetrocknete Argumente der Frauenpolitik. Der Nachteil: Wir können den beiden glauben oder nicht. Es gibt keine Belege, keine KronzeugInnen, alles ist anonymisiert. Der Vorteil: Die Bewässerung der alten Argumente mit frischen Geschichten tut den Argumenten ganz gut.
Was ist die Gleichberechtigungslüge? Hinter einer Gleichstellungsfassade, die aus einzelnen Moderatorinnen, Erbchefinnen, einer Kanzlerin und ein paar Ministerinnen besteht, stoßen die eben noch so hoffnungsvollen jungen Frauen von heute laut den Autorinnen auf die harte Realität: schlecht bezahlte Frauenjobs und die merkwürdige Erfahrung, dass Männer im Umfeld eine florierende Karriere machen und man selbst auf einem toten Ast zu sitzen scheint.
Sie würden halt schlecht verhandeln beim Gehalt, heißt es dann. Theurer und ter Horn können von zwei Männern und einer Frau berichten, die sich für ähnlich positionierte Jobs in einer Firma bewarben. Keiner wagte einen Widerspruch gegen das angebotene Gehalt – nur war das Angebot an die Männer von vornherein viel besser. Man finde einfach keine Frauen für Topjobs, lautet eine weitere Schuldzuweisung an Frauen. Ein Headhunter erzählt dagegen ter Horn und Theurer, dass Firmen ihm telefonisch mitteilen, sie suchten keine Frauen. Aber das nur inoffiziell. Offiziell hat man dann schon wieder keine Frau gefunden.
Beispiele für subtile Abwertungen von Frauen sind Legion in diesem Buch: Da wird eine weibliche Führungskraft zum Kaffeekochen oder zum Kopieren gebeten. Wer sich weigert, ist kleinkariert. Die neue Position wird nicht in die Telefonliste aufgenommen, wer insistiert, ist zickig. Die Männer steigen auf, die Frauen bleiben in Assistentenjobs kleben. Gern wird auch das „male bonding“, der Herrenclub, mit chauvinistischen Sprüchen befestigt: eine Juso-Chefin zum „heißen Feger“ und Angela Merkel mit einer Anspielung über freizügige Pfarrerstöchter zurechtsexualisiert.
Das alles führt die Autorinnen zu der Frage, ob es nicht verständlich sei, wenn Frauen nach jahrelangem fruchtlosen Ackern in einer tendenziell sexistischen Atmosphäre die Ausfahrt in die Babypause nutzen.
Ja, es ist die Gegenthese zur Erzählung von der „feigen Frau“. Man könnte sie aber auch als notwendige Ergänzung sehen: Es gibt sicher Frauen, die hasenfüßig auf die Anforderungen der Arbeitswelt reagieren. Aber es sind Frauen in einem Umfeld, das männlich geprägt ist und das ihnen das Agieren schwer macht. Wer das leugnet, verlangt, dass normale Frauen Superweiber werden – und muss zwangsläufig von ihnen enttäuscht sein.
Für die Komplementarität beider Thesen spricht auch, dass sich alle drei Autorinnen in den politischen Forderungen wiedertreffen: Alle sind dezidiert für eine Quote. Wobei Anja Theurer und Kyra ter Horn auch hier praktisch-skeptisch bleiben: Unternehmen mit Zielquote würden sicher gern durch die Abteilungen ziehen und Sachbearbeiterinnen zu leitenden Sachbearbeiterinnen umdefinieren: fertig ist die Quote. HEIDE OESTREICH
■ Kyra ter Horn, Anja Theurer: „Die große Gleichbe-rechtigungslüge. Chefin sucht Chefsessel“. Verlagsbuchhandlung Ehm Welk, Angermünde 2011, 224 Seiten, 19,99 Euro