■ In Burundi weitet sich der Bürgerkrieg aus: Die fatale ethnische Brille
Sind die zunehmend blutigeren Auseinandersetzungen zwischen Tutsi-Militärs und Hutu-Rebellen in Burundi Vorboten eines Völkermordes, wie er letztes Jahr – unter umgekehrten Vorzeichen – in Ruanda stattfand? Die Angst davor ist groß. Ruanda wie Burundi gelten als Schauplätze eines scheinbar unveränderlichen, atavistischen Endzeitkonflikts zwischen Hutu und Tutsi, der nur mit der Auslöschung einer der beiden Gruppen sein Ende finden könnte. Die Sorge der internationalen Gemeinschaft gilt daher vorrrangig der gerechten Machtteilung zwischen Hutu und Tutsi. In Ruanda fordern die ausländischen Geldgeber die Tutsi-beherrschte „Ruandische Patriotische Front“ (RPF), die seit einem Jahr regiert, zur „Versöhnung“ mit den nach Zaire geflohenen Hutu- Mördern auf; in Burundi haben internationale Friedensstifter die Hutu-Wahlsieger von 1993 und die vorherigen Tutsi-Diktatoren zusammen an den Kabinettstisch gesetzt.
Das Ergebnis beider Bemühungen entspricht bislang jedoch nicht den Erwartungen. Vielmehr ist eine rasante Ethnisierung der Politik zu beobachten, in der alle Akteure allein danach bewertet werden, ob sie Tutsi oder Hutu sind. Daß dies die vorhandenen Spannungen unzulässig vereinfacht, liegt auf der Hand. Historisch sind die Interessenkonflikte in Ruanda und Burundi sehr viel komplexer, als es die gebräuchliche simple Opposition von Tutsi-Herren und Hutu-Bauern erscheinen läßt. Bis in jüngste Zeit hinein waren die Unterscheidungen zwischen Demokraten und Anhängern einer Militärherrschaft mindestens genauso wichtig wie die zwischen Hutu und Tutsi – und lagen oft quer zu den „ethnischen“ Schranken. Heute wird danach kaum noch gefragt. Wer interessiert sich ernsthaft dafür, ob es beispielsweise in Ruanda irgendwann freie Wahlen gibt?
So entstehen fatale Kriegsfronten. Zwar hatten Burundis Tutsi-Barone mit Ruandas Tutsi-Guerillakämpfern lange Zeit wenig gemein, doch heute zählt vor allem, daß die militärische Macht zum ersten Mal seit der Kolonialzeit in beiden Ländern gleichzeitig bei den Tutsis liegt. Im Gegenzug finden sich die Hutus, ob Demokraten aus der Zeit freier Wahlen in Burundi 1993 oder Massenschlächter aus dem ruandischen Völkermord 1994, in einem gemeinsamen Topf wieder – und machen zunehmend gemeinsame Sache. Die Akteure vor Ort fügen sich bereitwillig dem ethnizistischen Denken, weil sie überzeugt sind, daß man sowieso nichts anderes von ihnen erwartet. So gleicht sich die Wirklichkeit dem Blick durch die ethnische Brille an, und es triumphiert ein binäres rassistisches Denken, das in Ruanda und Burundi genausowenig wie einst in Südafrika eine Zukunftsperspektive bietet. Dominic Johnson
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