: Die einzigen angstfreien Stunden
Swing statt Gleichschritt. Uwe Storjohann war einer von Hunderten Swingkids in der Hansestadt. Heute Abend erzählt er anlässlich des 63. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus aus seiner „Lotterjugend“
„Ohne die Swing-Jugend hätte ich die Nazis nicht überlebt“, sagt Uwe Storjohann, Zeitzeuge und späterer NDR-Redakteur, rückblickend. „Ich war weder Jude und als solcher verfolgt, noch von meinem Elternhaus her zu politischem Widerstand motiviert.“ Den Nazi-Drill aber habe er kategorisch abgelehnt und sich der Hitler-Jugend konsequent verweigert. „Damals dachte ich allerdings, ich sei der einzige HJ-Verweigerer. Bei den Swingkids habe ich dann eine Gemeinschaft Gleichgesinnter gefunden. Trotz aller Gefahren, denen wir ausgesetzt waren: Die einzigen angstfreien Stunden zwischen 1939 und 1945 habe ich bei den Swings erlebt.“
Uwe Storjohann war einer von mehreren Hundert Swingkids in der Hansestadt. „1936, als die Welt wegen der olympischen Spiele auf Deutschland blickte, waren die Nazis gezwungen, Jugendlichen relative Bewegungsfreiheit zu gewähren“, schildert der ehemalige Redaktionsleiter des NDR-Schulfunks gegenüber der taz. „Plötzlich durften wieder Bands aus England, sogar aus Amerika in Nazi-Deutschland auftreten. Das hat bei den Jugendlichen eine unglaubliche Euphorie ausgelöst. Später hatten die Nazis Schwierigkeiten, diese Welle wieder einzudämmen.“ „Lotterjugend“ nannten die Kids sich selbst, ganz bewusst als absoluter Gegensatz zur Hitlerjugend. Salopp und leger statt: „Im Gleichschritt! Marsch!“
Storjohann stieß 1941 als 16-Jähriger zu dieser Bewegung, „sozusagen als zweite Generation“, wie er sagt. Damals gab es in der Hansestadt zwei etwa gleich starke Gruppen: Die Eppendorfer Swings, zumeist Sprösslinge aus alteingesessenen Hamburger Kaufmannsfamilien, und die Proloswings, Jugendliche aus Arbeiterfamilien. Rivalitäten gab es indes keine, beide Gruppen trafen sich in denselben Lokalen. „Die Proloswings kamen oft aus kommunistischen oder linken Familien und waren viel politischer als wir Eppendorfer. Wir sind ja erst in der Swingjugend politisiert worden.“ Eine wichtige Rolle spielte dabei das Radio. „Um ‚unsere‘ Musik zu hören, waren wir gezwungen, den ‚Feindsender‘ BBC zu hören. Die Deutschlandredaktion der BBC hat das ganz geschickt gemacht, und die Musikprogramme mit politischen Informationen gespickt. Da hörten sich die Kriegsberichte plötzlich ganz anders an. Das hat uns stutzig gemacht und zum Nachdenken angeregt. Auf diesem Wege bin ich zum Antifaschisten geworden“, erinnert sich Storjohann.
Mitte 1942 gab es in Hamburg so gut wie keine Swingjugend mehr, die Gestapo hatte sie zerschlagen. „Rückblickend würde ich sagen, wir konnten uns deshalb so lange halten, weil die Gestapo vorher mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung beschäftigt war“, konstatiert Storjohann. Die Jugendlichen, die schließlich doch von der Gestapo „kassiert“ wurden, wie er sagt, kamen ins Jugend-KZ oder wurden zur Wehrmacht eingezogen.
Dem Eppendorfer Jung gelang es, diesem Schicksal bis Herbst 1944 zu entgehen. „Wir hatten damals Möglichkeiten, bei der Musterung Herzleiden zu simulieren. Genau gesagt habe ich entsprechende Medikamente eingenommen, damit ich nach ein paar Kniebeugen und Liegestützen umfalle. Das war natürlich ganz schön gefährlich und hätte richtig ins Auge gehen können“, weiß er heute. Die letzten Kriegsmonate waren das Schlimmste, was Storjohann je erlebt hat: „Wenn ich nicht wüsste, dass es KZs gab und die Menschen dort noch mehr leiden mussten als wir, würde ich sagen, das war das Schrecklichste, was Menschen angetan werden kann.“ Nach dem Krieg arbeitete er als Redakteur, Autor und Regisseur. Seine Erlebnisse schrieb er in der Autobiographie „Hauptsache Überleben“ nieder. Seit vielen Jahren tritt er regelmäßig als Zeitzeuge auf und engagiert sich gegen Rechts und Rassismus.
Heute Abend erzählt Storjohann im Rahmen der Veranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der AntifaschistInnen anlässlich des 63. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 1945 aus seiner „Lotterjugend“.BIRGIT GÄRTNER
Do., 8. 5., 19.30 Uhr, Kulturpalast Billstedt, Öjendorfer Weg 30a. Eine Veranstaltung des VVN-BdA in Kooperation mit dem Kulturpalast Billstedt