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Archiv-Artikel

Der Russische Filmclub zeigt im Metropolis Tarkovskis „Spiegel“ Die eigene Geschichte

Ein Junge schaut in ein Zimmer. Eben saß darin noch eine Frau an einem schwarzen Holztisch, darauf eine Tasse mit heißem Tee. Sie hat den Raum verlassen und das Geschirr mitgenommen. Jetzt ist da nur noch ein runder Kondensfleck auf dem spiegelnden Lack. Er verdunstet schnell und ist bald verschwunden. Übrig bleibt die undeutliche Reflexion eines Fensters auf der Maserung. In dieser Leere scheint das Vergehen der Zeit nachzuhallen. In solchen Momenten hält man bei Tarkovski den Atem an. Man muss ihm einerseits Recht geben, wenn er in einem Aufsatz schreibt, dass Der Spiegel (1976) keine Symbole liefere – etwa: für die Zeit. Die Bilder von Tarkovskis viertem, höchst persönlichen, enigmatischen Spielfilm verkörpern die Zeit selbst. Sie sind die Zeit.

Andererseits ist die Kondensfleck-Szene dennoch auch ein Symbol für die eigentümliche Gegenwärtigkeit der Vergangenheit des Menschen. Aus dem Kraftfeld der eigenen Geschichte speist sich schließlich das Ich mit seinen Entwürfen. Und genau dem geht Der Spiegel auf den Grund. Andrej Tarkovski inszeniert in einem vielschichtigen Geflecht die Kindheitserinnerungen eines Mannes namens Alexej, der unschwer als Alter Ego des Regisseurs zu erkennen ist. Der Film springt zwischen den Epochen, zwischen Szenen vom Landaufenthalt des Knaben während der Bombardierung Moskaus, Traumsequenzen, Episoden aus der Militär-Vorausbildung und „realen“ Szenen aus der Wohnung Alexejs in der Jetztzeit, die den assoziativen Bewusstseinsstrom erden.

Statt einer linearen Lebensgeschichte tritt der Prozess des Erinnerns selbst hervor. Entgegen Tarkovskis Behauptung hat dabei die ausgeprägte Spiegel- und Wassermetaphorik leitmotivische Funktion. Einmontiert ist historisches Doku-Material: Die Welt-Geschichte als fremder Eindringling in die individuale. Dazu erklingen Bach-Choräle und vier Gedichte von Tarkovskis Vater Arsenij, im russischen Original vom Autor gesprochen.

Der rote Faden ist dabei die Mutter des Mannes. Und in ihrer Figur kristallisiert sich auch die beunruhigende Ambivalenz des Erinnerns zwischen Gedächtnis und Projektion. Die Mutter als junge Frau ist mit Margarita Terechowa besetzt – und ebenso Natascha, die geschiedene Ehefrau Alexejs. Er kann sich seine junge Mutter nur mit dem Gesicht seiner Exfrau vorstellen. Eine Umkehrung der küchenpsychologischen These, nach der Männer in ihren Partnerinnen eigentlich die Mutter suchen. Aber die Projektion geht noch weiter. Auch der junge Alexej (“Aljoscha“) wird vom selben Schauspieler (Ignat Danilzew) gespielt wie die Rolle des Sohns Alexejs. Diese Kunstgriffe zeigen: Wir haben es mit subjektiver Imagination zu tun. Erinnerung führt nicht zu sicherem Wissen. Und das Subjekt findet darin kaum zu stabiler Identität. Der erwachsene Alexej der „realen“ Szenen bleibt ständig unsichtbar im Off.

Über all dem Erinnern bemerkt Alexej allerdings gar nicht, dass er seinen Sohn Ignat, der bei der Mutter lebt, ganz real vernachlässigt. Darin liegt eine sublime Selbstironie Tarkovskis. Er, der als Regisseur der langen Einstellung das russische Kino endgültig vom Bann der Eisenstein‘schen Montagetheorie befreit hat, findet in Der Spiegel zum vollendeten Ausdruck seiner Theorie vom Kino als „Modellieren von Zeit“ – und dabei schmunzelt er darüber, dass zu viel Vergangenheit für die Gegenwart blind macht. Da sage noch jemand, Tarkovski sei humorlos. Jakob Hesler

Mittwoch, 21.15 Uhr und 18.11., 17 Uhr, Metropolis