piwik no script img

Die drei Landungen

■ Invasionen der ersten, zweiten und dritten Stunde

Erste Landung. 1519 erreicht Hernan Cortez - pikanterweise von Kuba kommend - das spätere Neu-Hispanien, das spätere Mexico. Die Eingeborenen sind nicht ganz verblüfft, denn ihnen ist ein weißer Gott vorausgesagt worden, der aber eigentlich ein bißchen später kommen sollte. Ist er's oder ist er's nicht?

Die Verwandtschaft mit europäischen Partygesprächen ist unübersehbar. Es wird also hin und her getestet, Gespräche, Geschenke. Nach einer kleinen Weile kriegt Cortez spitz, daß er den Azteken und ihrem Häuptling überlegen seinkann. Seine weiße Gangsterbande motiviert er dadurch, daß er die Schiffe verbrennen läßt und damit eine Rückkehr zunächst unmöglich ist. Und er besiegt Monteczuma unter anderem dadurch, daß er die Indios „versteht“. Das nennen Todorov und der unvermeidliche Dietmar Kamper das „todbringende Verstehen“. „Ich verabscheue Reisen und Forschungsreisende“, sagt der Anthroploge und Ethnologe Claude Levi-Strauss, und verabscheut sich damit unweigerlich selbst.

Denn er landet 1935 und später noch öfter in Brasilien und anderen Orten der „Neuen Welt“. Am Vergleich von Geruch und Blick auf die Dinge dort erkennt er, daß mit dem tödlichen Export der europäischen Kultur etwas unwiederbringlich kaputtgegangen ist. „Nie wieder werden uns die Reisen, Zaubertruhen voll traumhafter Versprechen, ihre Schätze unberührt enthüllen. Eine wuchernde, überreizte Zivilisation stört für immer die Stille der Meere. Eine Gärung von zweifelhaftem Geruch verdirbt die Düfte der Tropen und die Frische der Lebewesen, tötet unsere Wünsche und verurteilt uns dazu, halb verfaulte Erinnerungen zu sammeln... Was uns die Reisen in erster Linie zewigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben.“ Das ist das „traurige Verstehen“ Lateinamerikas.

Nun kommt aber einige Verwirrung in die Angelegenheit der „zwei Kulturen“. Aus Haiti/Dominikanische Republik wurde berichtet: 1492 gab es 100.000 Eingeborene. 100 Jahre später waren es noch 200, die nach Levi-Strauss „mehr an dem Entsetzen starben, das sie gegenüber der europäischen Kultur empfanden, als an Pocken und Schlägen“. Die Spanier betrachteten die Indios als Tiere. Diese waren ihrerseits zu sehr Naturwissenschaftler im modernen Sinne, um sich einen echten Test entgehen zu lassen.

Im heutigen Puerto Rico pflegten sie zur Beantwortung der Frage, ob die Weißen nun wirklich Götter seien, sie „zu fangen und zu ertränken, um dann wochenlang bei den Ertrunkenen Wache zu halten, um festzustellen, ob sie verwesten oder nicht“. Was werden nun die eingeladenen Mittelamerika-Karibianer mit den Europäern anfangen? Sind sie wirklich doppelt so schlau wie wir, weil sie zwei Kulturen kennen, und wir nur eine? Der Kongreß verrät es.

M.R.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen