■ Die deutschen Konzerne und ihre Zwangsarbeiter: Zeit und Geld
Die deutschen Konzerne, die sich mit der geringfügigen Verspätung von 50 Jahren nun doch entschlossen haben, ihre noch lebenden Ausbeutungsobjekte aus der Zeit der Sklaven- und Zwangsarbeit zu entschädigen, scheinen über viel Zeit, dafür aber über wenig Geld zu verfügen. Anders ist nicht zu erklären, daß sie der Frage ihrer „Rechtssicherheit“, sprich: ihrem Schutz vor eventuell drohender doppelter Zahlung, Verhandlungsrunde um Verhandlungsrunde widmen. Daß sie sich aber andererseits hartnäckig weigern bekanntzugeben, über wie viele Mittel ihre Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ bis jetzt verfügt.
Den Grund für diese Zurückhaltung hat der Historiker Lutz Niethammer mit einer für den Job des Kanzlerberaters erfreulichen Offenheit benannt: Eine ganze Reihe von Unternehmen, die im Zweiten Weltkrieg massenhaft von der Zwangsarbeit profitierten, ziert sich, dem Fonds beizutreten. Und sie können das unbehelligt tun. Denn die Öffentlichkeit in Deutschland schert sich mehr um die angebliche Bereicherungssucht amerikanischer Anwälte als um die verrinnende Lebenszeit der ehemaligen Arbeitssklaven Deutschlands. Innerhalb dieses Spiels nimmt die Bundesregierung eine zunehmend dubiose Rolle ein. Sie hat sich darauf festgelegt, durch eine Bundesstiftung all denjenigen Zwangsarbeitern zu einer einmaligen Zahlung zu verhelfen, die während des Krieges in der Landwirtschaft und im öffentlichen Sektor beschäftigt waren. Es handelt sich hier um einen gewichtigen Anteil der gesamten Zwangsarbeit, immerhin stellten die deportierten Ausländer 46 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Arbeitskraft.
Jetzt vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, erst müsse die Industriestiftung unter Dach und Fach sein, dann erst könnten Steuergelder für die Bundesstiftung fließen. Man wolle die deutsche Industrie nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Ein seltsames Argument, da erstens Bundesstiftung und Industriestiftung unterschiedliche Opfergruppen betreffen und zweitens von der Errichtung der Bundesstiftung politischer Druck auf die Konzerne ausgehen könnte, endlich mit ihrem eigenen Stiftungsunternehmen zu Rande zu kommen. Diejenigen Abgeordneten und Mitarbeiter der Koalition, die sich bislang Verdienste um die Entschädigung der Zwangsarbeiter erwarben, sollten überlegen, wie lange ihre Loyalität gegenüber der Bundesregierung noch strapaziert werden kann. Christian Semler
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