■ Die deutsche Außenpolitik gegenüber den Vereinten Nationen dient einzig einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat: Die Bundeswehr soll den Weg in den Weltsicherheitsrat freischießen
Was will Deutschland heute in der Weltpolitik? Die alte Bundesrepublik verstand sich während ihrer 40 Jahre in der Weltpolitik als Handels- und Zivilstaat. Seit fünf Jahren aber streben Regierung und Bundestag der neuen, der „Berliner“ Republik nach mehr. Das Leitmotiv ist die bei allen nur möglichen Gelegenheiten immer wieder erklärte deutsche Bereitschaft, mehr internationale Verantwortung übernehmen zu wollen. An der derzeitigen deutschen Außenpolitik läßt sich ablesen, daß dies nur die Umschreibung des Wunsches ist, international mehr Macht ausüben zu wollen.
Ein Staat wie Deutschland kann eine solche Politik nur im Rahmen und mittels der UNO voranbringen. Folgerichtig ist die derzeitige deutsche UNO-Politik von dem Wunsch nach einem ständigen deutschen Sitz im UNO-Sicherheitsrat beherrscht. Und folgerichtig wird die militärische Komponente der deutschen Außenpolitik schrittweise unter dem Vorzeichen der UNO ausgebaut. Die UNO dient als Treppe, auf der Deutschland in der Weltpolitik nach oben steigen und dabei mächtiger werden soll.
Doch dieser Tage schlug Außenminister Kinkel – im fernen New York und ohne nennenswerte Resonanz in Deutschland – in seiner Rede vor der diesjährigen Generalversammlung der UNO neue Töne an. Er wiederholte zwar wie jedes Jahr die deutsche Bereitschaft zu größerer Verantwortung und die deutsche Forderung nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Doch gleichzeitig schien es so, als ob er die UNO gerade neu entdeckt habe.
Er legte nicht nur ein energisches Bekenntnis zu den Grundsätzen und den Verfahren der UNO ab. Er nahm die UNO auch gegen ihre Kritiker in Schutz, und er bekannte freimütig, daß die Staatenorganisation immer nur so stark und so solidarisch sein könne, wie ihre Mitgliedstaaten sie machten. Er rief in die Generalversammlung: „Die Schwierigkeiten, die verursachen doch wir, die Mitgliedstaaten!“ Konkret forderte Kinkel unter anderem eine Verstärkung der Vorbeugung gegenüber Konflikten. Und zur Finanzkrise der UNO forderte er, daß die Beiträge der Mitgliedstaaten an deren tatsächliche Beitragsfähigkeit angepaßt werden müßten. Solidarischer geht's kaum. Doch das Bekenntnis von Kinkel trifft den Kern der gegenwärtigen Misere der UNO, und seine Forderungen sind zweifellos richtig. Allein, für den deutschen Außenminister sind dies alles überraschende Aussagen. Denn sie sind nicht deckungsgleich mit der deutschen UNO- Politik.
Im gegenwärtigen Konflikt im ehemaligen Jugoslawien beispielsweise sind die Schwierigkeiten der allein für ein Eingreifen in den Konflikt legitimierten UNO im wesentlichen dadurch verursacht, daß bedeutende UNO-Mitglieder ihre Verantwortung innerhalb der UNO mangelhaft wahrnehmen. Gleichzeitig behaupten diese Staaten, die UNO sei unfähig zu einer wirkungsvollen Friedenssicherung.
Es sind dies in erster Linie diejenigen Staaten, die im UNO-Sicherheitsrat und gleichzeitig auch in der Nato eine führende Rolle spielen: die USA, Großbritannien und Frankreich. Um der Nato nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Aufgabe zu geben, fordern sie, daß die Friedenssicherung von der Nato übernommen werden müsse und daß diese dabei nicht nach Anweisungen der UNO, sondern aus eigenem Recht handeln solle.
Dies ist exakt die Linie, der auch die deutsche Außenpolitik folgt. Diese Politik wird also vom deutschen Außenminister gleichzeitig in Brüssel und anderswo vertreten und bei der UNO in New York beklagt. Auch die von Kinkel geforderte Politik einer verstärkten Vorbeugung gegen Konflikte überrascht. Denn eine solche Politik spielt in der deutschen Außenpolitik seit der Herstellung der deutschen Einheit nur eine nachgeordnete Rolle. Das herausragende deutsche Interesse gilt unverkennbar einer deutschen Beteiligung an einem militärischen Eingreifen in Konflikte.
Und schließlich ist auch die Aussage von Kinkel zur Beitragsleistung der UNO-Mitglieder erstaunlich. Denn die Bundesrepublik stand als Beitragszahler zwar nach der Höhe ihres Beitrags früher immer an vierter und steht heute – nach dem Ende der Sowjetunion – an dritter Stelle. Doch wenn man ihren Beitrag an ihrer Beitragsfähigkeit mißt, also an ihrem Bruttosozialprodukt und an der Belastung pro Kopf ihrer Bevölkerung, dann findet sie sich keineswegs mehr in der Spitzengruppe der Beitragszahler. Der Appell Kinkels zu mehr Solidarität in der UNO richtet sich also auch an die Bundesregierung, der er selbst angehört.
Der nichtmilitärische Ansatz, den Kinkel in New York artikuliert hat, ist für die UNO richtig. Denn die UNO ist in den 50 Jahren ihres Bestehens weit über ihren ursprünglichen Zweck, den Weltfrieden zu sichern, hinausgewachsen. Sie ist heute vorwiegend eine Organisation zur Lösung nichtmilitärischer globaler Probleme. Nur noch etwa 30 Prozent ihrer Aktivitäten sind der unmittelbaren Friedenssicherung gewidmet. Dies spiegelt die Problemlage wider. Denn für die Zukunft der Menschheit haben die globalen nichtmilitärischen Probleme (wie etwa Hunger, Bevölkerungsexplosion, Entwicklung, Raubbau, Klimaveränderung usw.) größere Bedeutung als bewaffnete Konflikte.
Kinkels Ansatz wäre auch für Deutschland richtig. Denn im nichtmilitärischen Bereich könnte Deutschland innerhalb der UNO ganz selbstverständlich Profil, Gewicht und Einfluß gewinnen. Es könnte eine maßgebliche Rolle bei der notwendigen Umsteuerung der UNO auf die neuen globalen Probleme spielen.
Die tatsächliche derzeitige deutsche UNO-Politik hingegen engt die deutschen Möglichkeiten in der UNO ein. Der Weg zu einem ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat ist mit der Erfordernis gepflastert, daß dieser (erstmaligen!) Änderung der UNO-Charta die fünf ständigen Mitglieder zustimmen und daß zwei Drittel der UNO-Staaten sie ratifizieren müssen. Dieser Weg wird sich auch mit noch so vielen Bundeswehreinsätzen nicht so leicht freischießen lassen. Aber alles, was Deutschland heute in der UNO tut, und alles, was Deutschland zur Frage einer Reform der UNO vorbringt, wird in der UNO unvermeidlich nur als ein Mittel zur Erreichung des nationalen deutschen Zieles eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat verstanden.
Die neuen Schwerpunkte der deutschen UNO-Politik sind angesichts der von der UNO zu bewältigenden Probleme und hinsichtlich der deutschen Position und Möglichkeiten innerhalb der UNO falsch gesetzt. Hans Arnold
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