: „Die cubanischen Arbeiter verdienen zu viel“
■ Der cubanische Gewerkschaftsführer Joaquin Bernal verteigigt den „tropischen Sozialismus“ gegen die Perestroika
Joaquin Bernal ist Leiter der Internationalen Abteilung der cubanischen Einheitsgewerkschaft. Auf Einladung des DGB war er vor zehn Tagen in Bremen. Im taz-Interview verteidigt er den cubanischen Weg der „rectificacion“ (Begradigung) gegenüber der sowjetischen Perestroika und dem Abfall Osteuropas vom realen Sozialismus.
taz: Die Welt verändert sich dramatisch. Braucht auch Cuba grundsätzliche Veränderungen?
Joaquin Bernal: Na ja, Cuba hat sich immer verändert. Wir müssen unser System perfektionieren, wir müssen unsere Ökonomie effizienter gestalten und bessere Arbeit in allen Fabriken leisten.
Welches sind die konkreten Fehler, die berichtigt werden müssen?
Das haben wir auf dem dritten Kongreß der Partei 1986 diskutiert. Der Abschlußbericht enthält eine kritische und selbstkritische Analyse des Landes. Die Planwirtschaft, so heißt es dort, müsse angepaßt werden. Verschiedenes war aus anderen Ländern kopiert worden. Dabei wurden einige gute Dinge schlecht kopiert und einige schlechte Dinge gut kopiert. Zum Beispiel vertrug sich der freie Bauernmarkt nicht mit unseren Verhältnissen und Traditionen. Deshalb wurde er wieder abgeschafft.
Und die Pläne wurden zum Beispiel in Geldwert aufgestellt, nicht aber in Fertigprodukten. Das hatte fatale Folgen im Baubereich. Viele Bauarbeiten wurden angefangen, aber nicht fertiggestellt. Am Ende des Jahres war dann zwar der Plan übererfüllt, aber die neuen Wohnungen fehlten immer noch.
Sie sind Gewerkschaftsfunktionär. An den Arbeitsbedingungen, den Löhnen, muß daran auch etwas geändert werden?
Unser ernstestes Problem ist die richtige Anwendung der Lohnpolitik. In Cuba hat sich ein Phänomen entwickelt, daß überall ungerechtfertigte Löhne gezahlt worden. Arbeiter verdienten übertriebene Löhne für Arbeiten, die sie gar nicht oder nur in schlechter Qualität geleistet haben.
Sie meinen, die cubanischen Arbeiter verdienen zu viel?
Ja, das glauben wir.
Bei uns fordern die Gewerkschaften immer höhere Löhne und nicht niedrigere...
Na klar. Aber wir haben das Problem zusammen mit allen Arbeitern analysiert. Und die Arbeiter selber waren sich bewußt, daß ihre Löhne nur deswegen so hoch waren, weil die staatliche Kontrolle nicht richtig funktionierte. Und dann waren es die Arbeiter selber, die verlangten, daß ihr Lohn im richtigen Verhältnis zu der Arbeit stehen müsse, die sie leisten.
Gleichzeitig haben wir aber den Mindestlohn im ganzen Land auf 100 Pesos erhöht. Alle einfachen Landarbeiter verdienen nun mehr.
Im Vergleich zum Beginn der 70er Jahre - geht es Cuba heute ökonomisch besser oder schlechter?
Unvergleichlich besser. Es gab viele Fortschritte in allen Bereichen.
Und der Mangel bei der Versorgung mit Lebensmitteln?
Wir haben heute viel mehr Lebensmittel als zu Beginn der 70er Jahre. Es stimmt, daß es in einigen Bereichen noch Mangel gibt, aber wenn Sie sich die Statistik ansehen, merken Sie, daß wir jedes Jahr mehr produzieren und der Konsum der Bevölkerung jedes Jahr höher ist - sowohl in Kalorien als auch in Protein und Fett. Natürlich haben wir noch keinen Überfluß der Produkte, aber wir hatten einen Fortschritt.
Der Wandel in Osteuropa - wie wirkt er sich auf Cuba aus?
Wir hatten einige Unregelmäßigkeiten in der Lieferung von Ersatzteilen. Zum Beispiel hat die ungarische Bus-Fabrik „Ikarus“ geschlossen. Aber im Allgemeinen kämpfen beide Seiten weiterhin darum, die Handelsverträge so gut wie möglich einzuhalten. Wir haben Sorgen, aber die Regierungen und die verantwortungsvollen Menschen in den osteuropäischen Ländern bemühen sich um eine Konsolidierung der Situation.
Es sieht so aus, als wenn Cuba in ein, zwei Jahren das letzte Land mit Planwirtschaft sein könnte. Haben Sie keine Angst vor einer Isolation?
Nein, wir werden nicht allein sein. In Cuba können wir unser Land ohne Plan nicht entwickeln. Und auch auf dem Weltmarkt geht es in Richtung Planung und nicht in Richtung des Gegenteils. Im Moment haben wir Strömungen, Moden, Kampangen, an deren Dauerhaftigkeit wir nicht glauben.
Allerdings wollen wir in Cuba größere Flexibilität in den Plan bekommen, um uns schneller auf die wechselnden Bedingungen einstellen zu können. Die wenigen Rohstoffe, die wir haben, müssen wir bis zum Letzten ausnutzen. Wir können uns den Luxus der Anarchie nicht leisten.
Wird in den Betrieben über die radikalen Veränderungen in der Sowjetunion diskutiert?
Na klar. Unsere Zeitungen informieren jeden Tag über die ganze Welt. Natürlich entstehen dabei Sorgen und Unmut über vieles, was passiert. Natürlich haben unsere Leute ihre eigene Meinung.
Aber einige sowjetische Zeitungen und Zeitschriften sind inzwischen verboten...
Ja, das hat die Regierung entschieden, z.B. die „Moskau News“. Die erregten einfach Ekel in der Bevölkerung.
Wer nicht will, muß es ja nicht lesen, wenn es ihn ekelt...
Nein, diesen Luxus können wir uns nicht leisten - daß wir in Cuba das Spiel des Feindes mitspielen. Wir werden nicht gestatten, daß in unserem Land in einer konterrevolutionären Sprache gesprochen wird, daß der Kapitalismus verteidigt wird, daß sich über die Führer der Revolution lustig gemacht wird.
Sie sehen die sowjetischen Publikationen als Propaganda des Feindes?
Ja, die, die wir verboten haben, ja.
Aber woher wissen sie, daß die Zeitungen so schrecklich sind, wenn man sie gar nicht kaufen und lesen kann?
Tausende Cubaner haben sich beschwert und gefragt wie es möglich ist, daß unsere Regierung zuläßt, solche Zeitungen zu verkaufen und wie lange sie es noch hinnehmen müßten, daß für diese konterrevolutionäre Propaganda auf der Straße geworben wird. Und keine einzige internationale Nachrichtenagentur hat darüber berichtet.
Empfinden sie den Sturz der sozialistischen Regierungen in Osteuropas als geschichtlichen Schritt vorwärts oder zurück?
Ich denke, daß alles, was dem Sozialismus schadet, ein Schritt zurück ist.
Auch wenn das Volk es verlangt?
Klar, auch dann. Ich bin überzeugter Kommunist. Ich respektiere, was ein Volk will. Aber ich weiß, daß es nur mit dem Sozialismus Fortschritt gibt.
Fragen und Übersetzung: Dirk Asendorpf
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