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■ Die bisher größte Konferenz über Aids in Afrika ging gestern in Sambias Hauptstadt Lusaka zu Ende. Nie zuvor wurde so offen über die Ursachen einer Seuche gesprochen, an der jeden Tag 5.500 Menschen sterben  Von Dominic JohnsonSex ist plötzlich ein Thema

Als Emma Tauhepa ans Rednerpult trat, herrschte Stille im Saal. „Ich wurde von einem Lehrer an meiner Schule mit HIV angesteckt, als ich 18 war“, erzählte die junge Lehrerin aus Namibia und hielt nur mühsam ihre Tränen zurück. „Wir hatten keine Beziehung. Er vergewaltigte mich. Hätte meine Mutter mit mir über Sex gesprochen, wäre das nicht passiert. Ich glaube, ich hätte mein Leben retten können, wenn ich Bescheid gewusst hätte. Jetzt bin ich 23. Und wie soll ich leben?“

Für die Zuhörer, Aids-Aktivisten aus ganz Afrika, war Emma Tauhepas Geschichte eine von vielen, die sonst in öffentlichen Foren in Afrika nie zur Sprache kommen. Auf der 11. afrikanischen Aids-Konferenz „Icasa“, die diese Woche in Sambias Hauptstadt Lusaka stattfand und gestern zu Ende ging, fiel ein Tabu nach dem anderen. Nie vorher hat Afrika auf so hoher Ebene so offen über seine Probleme gesprochen.

Aber in Afrika sprengt die rasante Ausbreitung von Aids allmählich alle bisherigen Versuche, die Krankheit zu bekämpfen. 22,5 Millionen Afrikaner sind derzeit HIV-positiv. 12 Millionen Afrikaner sind an Aids gestorben, zwei Millionen allein im vergangenen Jahr – 5.500 jeden Tag. Aids tötet damit zehnmal mehr Afrikaner als die vielen bewaffneten Konflikte des Kontinents. Acht Millionen Kinder in Afrika sind Aids-Waisen, und die Zahl steigt rapide. In den am meisten von Aids betroffenen Ländern – Botswana, Namibia, Swaziland, Simbabwe – wird nach Schätzungen jeder vierte Erwachsene in den nächsten zehn Jahren an Aids sterben.

Unter solchen Umständen zerbricht die traditionelle gemeinschaftliche Solidarität. Carol Bellamy, Leiterin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, sagte in Lusaka, das „monströse Ausmaß der Aids-Pandemie in Afrika“ sei „eine Bedrohung von Frieden und Stabilität in der ganzen Welt“. Peter Piot, Direktor des UN-Aids-Bekämfungsprogramms UNAIDS, sagte: „Es ist ein Ausnahmezustand. Er erfordert außerordentliche Maßnahmen.“

Zehn afrikanische Regierungen erklärten jetzt tatsächlich Aids zur „nationalen Katastrophe“. Aber die 5.000 Teilnehmer des Treffens waren weniger an hochtrabenden Worten interessiert als an konkretem Erfahrungsaustausch. Afrikas Aids-Aktivisten wollen keine hohlen Sprüche, wohl aber Verpflichtungen ihrer Regierungen. Umso mehr ärgerten sie sich, dass zur Konferenz in Lusaka kein einziger Staatschef erschien – nicht einmal der des Gastgeberlandes Sambia.

Umso unbekümmerter konnte das Versagen der Regierungen thematisiert werden. Gerade mal 15 Millionen Dollar eigene Ressourcen gaben Afrikas Staaten 1997 für Aids-Bekämpfung aus – das meiste davon in Uganda. Korruption und Misswirtschaft sind immens: Nur 12 Prozent der staatlichen afrikanischen Aids-Ausgaben würden tatsächlich für Aids-Bekämpfung ausgegeben, kolportierte ein nigerianischer Experte.

Zu den 15 Millionen Dollar Eigenleistung kamen 1997 150 Millionen Dollar ausländische Hilfsgelder. Aber auch die ausländischen Geldgeber wurden kritisiert: Die Hilfe der Weltbank für die Aids-Bekämpfung in Afrika ist seit 1994 kontinuierlich gesunken – von damals 67 Millionen Dollar auf gerade noch 1,7 Millionen 1997. Und eine neue Millionenzusage der USA stieß auf Hohn: „Clinton hat mehr als das für seine eigenen sexuellen Probleme ausgegeben!“, erregte sich Timothy Stamps vom sambischen Gesundheitsministerium.

Vor allem UN-Vertreter drängten darauf, Geld statt an Regierungen lieber direkt an lokale Initiativen zu geben. „Der Schlüssel liegt darin, die Armen als Akteure in ihrer eigenen Entwicklung zu sehen statt als passive Empfänger von Dienstleistungen oder Waren, die Gesundheitspersonal, Lehrer und religiöse Führer verteilen“, sagte Carol Bellamy. Das heißt, die bisherigen Modelle von Politik als staatlicher Kontrolle zu überwinden.

Aber wenn der Schwerpunkt auf gesellschaftliche Eigeninitiative gelegt wird, steht auch das gesellschaftliche Selbstverständnis auf dem Prüfstand. Afrikas Gesellschaften sind mit Aids fast ausnahmslos überfordert. Victor Chinyama, Unicef-Leiterin in Sambia, brachte es auf den Punkt: „Aids ist eine sehr private Krankheit. Hunderte und tausende von sozialen Vorbildern sterben einen stillen Tod.“

Konsens herrscht unter Afrikas Aids-Experten darüber, dass die heutige Erwachsenengeneration bereits verloren ist. Um den Krieg gegen Aids zu gewinnen, müssen die Kinder angesprochen werden, die ohnehin die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung ausmachen. Den Schulen und auch den Kirchen kommt da eine große Bedeutung zu. Schulen sollten zu dörflichen Entwicklungszentren werden, aus denen Aufklärung für die ganze Gemeinschaft ausgeht, forderten die Aktivisten in Lusaka.

Dies bedeutet letztlich auch, die oft erdrückende Macht der Großfamilie über den Einzelnen zu brechen – während viele Regierungen versuchen, den Kampf gegen Aids allein im Rahmen staatliche Aufforderung zu ehelicher Treue und zur Stärkung der Familienbande zu gewinnen. Hier bahnen sich grundlegende Konflikte an, bei denen die soziale Ordnung Afrikas zur Disposition steht.

In Lusaka kam auch sonst vieles zur Sprache, wovon man sonst nicht spricht. Zum Beispiel die Stigmatisierung von Aids-Kranken: Oft wird Aids als Sünde statt als Krankheit begriffen. Oder die Beziehungen zwischen den Geschlechtern: Für viele afrikanische Männer ist es völlig normal, mit ihren Frauen nicht über ihr Leben außer Haus zu reden, Geschlechtsverkehr eingeschlossen. Dr. Salif Sow aus Senegal wies darauf hin, dass die Ausbreitung von Aids durch das Sexualverhalten der Männer bestimmt wird.

Dass die Delegierten in Lusaka in ihren Konferenzmappen je zwei Kondome vorfanden, stieß da auf verbreitetes Befremden. Einer der offenbar beeindruckendsten Beiträge auf der Konferenz kam von der Sambierin Brigitte Symalevwe, die seit 1992 HIV-positiv ist: „Ich lebe in einer Gesellschaft, die von mir als Frau Gehorsam, Treue und die Pflege der Kultur erwartet. Und dieselbe Gesellschaft sieht weg, wenn Männer untreu sind, und ermutigt das sogar. Wenn Frauen nicht einmal in oberflächlichen Gesprächen respektiert werden, wie kann man ernsthaft von Sex reden?“

Konferenzleiter Nkanda Luo, Gesundheitsminister von Sambia, sprach schließlich aus, was viele dachten: „Ich glaube, die Frauen Afrikas müssen einen Aufstand machen. Alle zusammen.“

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