: Die bestechende Logik des Herrn Dräger
Der Hamburger Wissenschaftssenator erklärte den in Bremen tagenden Hochschulrektoren, warum Studiengebühren soziale Ungerechtigkeit nicht verstärken, sondern minimieren. Lemke hörte gut zu: „Bremen orientiert sich an seinen Nachbarn“
Bremen taz ■ Mehr Arbeiterkinder an die Hochschulen ist das erklärte Ziel der beiden Wissenschaftssenatoren aus Hamburg und Bremen – das bestätigten sie gestern den versammelten Rektoren deutscher Fachhochschulen, die sich in Bremen trafen, um über Studiengebühren zu diskutieren. Während der Bremer Willi Lemke (SPD) allerdings nur seine Überzeugung zum Besten gab, dass „mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen“ müssten, gab Hamburgs parteiloser Wissenschaftssenator Jörg Dräger auch preis, wie er sein Ziel erreichen wolle. Mit einem zahlengespickten Power-Point-Vortrag legte er so dermaßen los, dass die Konferenz sich anschließend ein paar Minuten erholen musste, bevor sie kritische Fragen stellen konnte.
Dräger will wie die meisten anderen CDU-regierten Bundesländer Studiengebühren einführen, sobald das von der rot-grünen Koalition erteilte Verbot für Studiengebühren fällt – ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird für Januar erwartet. Um die Studierfähigen im Lande bei der Stange zu halten, sollen diese Darlehen für die Gebühren, aber auch für den Lebensunterhalt bekommen. Diese müssten dann später einkommensabhängig zurückgezahlt werden.
Drägers Logik ist bestechend: Das gegenwärtige gebührenfreie System ermutigt vor allem diejenigen zum Studium, deren Eltern bereits eine Uni von innen gesehen haben. Zwölf Prozent aller Arbeiterkinder und 72 Prozent aller Beamtenkinder gehen an die Hochschule. Dagegen schneidet der Senator eine Zahl aus Australien: Zehn Jahre nach Einführung der Studiengebühren gibt es in allen Schichten mehr Studienanfänger.
Drägers Erklärung für das Phänomen: „Es scheint für bildungsferne Schichten interessanter zu sein, in etwas zu investieren, was sich lohnt.“ Bildung, so Dräger, werde gerade von deutschen Universitäten zu sehr als ideeller Wert dargestellt. „Das ist es auch“, beeilte er sich zu sagen, aber in erster Linie, so scheint es, versteht er Bildung als finanziellen Wert. Motto: Geld bezahlen, nach dem Studium viel Geld verdienen, Darlehen zurückzahlen. Eine gute Rendite sei allerdings nur bei zügigem Studium zu erwarten. „Nichts verdirbt die Rendite so sehr wie ein langes Studium!“ Damit das nicht passiere, müsse sich das Betreuungsverhältnis an den Hochschulen verbessern – finanziert von den Studiengebühren. Das funktioniere allerdings nur – da stimmt Dräger seinen Kritikern zu –, wenn die Bundesländer die staatlichen Zuschüsse nicht im Gegenzug verringerten.
Genau das ist die Sorge der Rektoren. Kritisiert wurde gestern außerdem der Lebensverlauf, an dem sich Drägers „Hamburger Modell“ orientiert. Das klinge so gut, „einmal studieren und dann kommt ganz cool und geil die Rendite zurück“, so die Präsidentin der Fachhochschule München, Marion Schick. „Das bedeutet doch aber, dass Akademiker bis 35, 40 Jahre mit den Rückzahlungen beschäftigt sind, kurz bevor sie outgesourct werden.“ Dabei hätten die europäischen Bildungsminister doch gerade das Leitbild des lebenslangen Lernens formuliert. Dräger gab zu, dass er von US-amerikanischen Zuständen – mit fixen Rückzahlungsvorgaben – auch nichts halte: „Da heißt es dann, geh’ erst einmal fünf Jahre zu McKinsey und dann kannst du machen, was du willst.“
Trotz aller Skepsis gab es am Ende anhaltenden Applaus für Dräger. Und Lemke? Dem war deutlich anzumerken, dass er die Pläne der hiesigen großen Koalition zu Studiengebühren am liebsten vom Tisch haben möchte. Nach dem Vorbild Hamburgs sollen nur diejenigen zahlen, die nicht in Bremen wohnen. Dräger hat jedoch schon sehr deutlich gemacht, dass dies nur eine Übergangslösung sei. Sobald er könne, werde er „echte“ Studiengebühren einführen, wie Niedersachsen auch. Und was macht Bremen dann? „Wir orientieren uns an den Nachbarn“, sagt Lemke. „Es wäre ja idiotisch, wenn wir hier einen eigenen Weg gingen.“ Eiken Bruhn