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Archiv-Artikel

Die arme reiche Stadt

Wie genau die kommunalen Kassen aufgefrischt werden wollen, ist noch offen

aus München CHRISTIAN FÜLLERund JÖRG SCHALLENBERG

Eine Lesben-und-Schwulen-Party im Rathaus? Nein, das ist eigentlich gar nicht nach dem Geschmack der Münchner CSU. Pikiert stellte Stadtrat Max Strasser fest: „Die können gerne mal hierher zu einer Ratssitzung kommen. Aber eine Party, da habe ich was dagegen.“ Doch die Front bröckelt. Strassers Parteifreund Joachim Haedke sieht die Party, die heute steigen soll, schon unter einem anderen Gesichtspunkt: „Es ist doch wunderbar, wenn dadurch ein paar Euro in die Stadtkasse kommen.“

Man ist findig geworden in München. Denn die Kasse der reichsten deutschen Großstadt ist leer.

Knapp ein Jahr ist es her, dass Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) jenen Satz aussprach, den nicht wenige der Münchner am nächsten Tag für einen Druckfehler in ihrer Zeitung hielten: „Die Stadt ist pleite.“ Welche Stadt? München etwa? Das wie kein anderer deutscher Standort in den späten Neunzigern von den Boombranchen wie Medien, Computer-Hightech und Biotechnologie emporgetragen wurde?

Genau, München. Im Juli 2002 stellte mit der HypoVereinsbank das letzte der sieben im Deutschen Aktien-Index notierten Münchner Großunternehmen seine Gewerbesteuer-Vorauszahlungen an die Stadtkasse ein. Damit fehlten im Stadthaushalt plötzlich 120 Millionen Euro – für das laufende Jahr, das heißt: Die Einnahmen waren bereits verbucht, teilweise waren sie schon ausgegeben. Zuvor hatten bereits die Allianz, BMW, Infineon, MAN, die Münchener Rück-Versicherung und Siemens den Hahn zugedreht. Dabei konnten sich etwa BMW und Siemens im vergangenen Jahr über Gewinne freuen.

München ist kein Einzelfall. Wie der bayerischen Landeshauptstadt ergeht es vielen Städten und Gemeinden in Deutschland – die Einnahmen, mit denen kommunale Aufgaben wie Schulbauten, Kultur oder so genannnte freiwillige Leistungen bezahlt werden, gehen zurück. Vor allem die Jahre 2001 und 2002 waren schwierig. Nahmen die deutschen Kommunen über ihre Haupteinnahmequelle, die Gewerbesteuer, im Jahr 2000 noch 24,5 Milliarden Euro ein, waren es im Jahr darauf noch 22,3 Milliarden. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben: allein von 2000 bis 2002 um satte 4,5 Milliarden Euro.

Die sich öffnende Schere von Einnahmen und Ausgaben treibt Bürgermeister und kommunale Spitzenverbände wie den Städtetag auf die Barrikaden. Was sie so nervös macht: Die Situation wird nicht besser, sondern schlechter. 2003, so sagte etwa die Präsidentin des Deutschen Städtetags, Petra Roth, drohend voraus, „wird das Schicksalsjahr der Städte“. Die CDU-Politikerin ist hauptberuflich Oberbürgermeisterin von Frankfurt – auch die deutsche Bankenmetropole hat immense Verluste zu verkraften. Aber nicht nur die erfahrenen Lobbyisten fürs Lokale sind alarmiert. Auch den Bundespräsidenten beunruhigen „Straßen voller Schlaglöcher, Schulen am Rande der Baufälligkeit und öffentliche Gebäude, die versperrt sind“. Das „rührt an die Fundament unserer demokratischen Ordnung“, stellte sich Johannes Rau auf die Seite der 6.000 im Städtetag organisierten Städte und Gemeinden.

Das Problem von Städten wie München ist, dass die Verluste quasi über Nacht eintraten – und sich alles andere als gleichmäßig verteilen. Ein Drittel der deutschen Kommunen verzeichnet gar keine Defizite oder nimmt sogar mehr ein. Dafür erwischt es Großstädte und Orte, die bislang von ansässigen Großfirmen und Konzernen gut leben konnten, umso schlimmer.

Für international agierende Firmen ist es nach der geltenden Steuergesetzgebung ein Leichtes, ihre Gewinne und Verluste so über das gesamte Unternehmen hin und her zu rechnen, dass sie sich vor Steuerzahlungen an ihrem Firmenstandort drücken können. In Städten wie Schwäbisch-Hall oder dem reichen Sindelfingen brechen so die Einnahmen nicht wie im Durchschnitt der deutschen Kommunen um knappe 6 Prozent, sondern gleich um die Häfte oder noch mehr ein. Die Gewerbesteuer ist davon besonders betroffen – sie errechnet sich nach dem Ertrag, den Unternehmen abwerfen. Das heißt: Sie ist extrem konjunkturabhängig. Daher traf die Wirtschaftskrise Kommunen wie München auch besonders hart. Die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt sanken von 1,3 Milliarden Euro im Boomjahr 1998 auf etwa 850 Millionen im vergangenen Jahr – von denen der Staat durch die seit 2000 erhöhte Gewerbesteuerumlage noch mal etwa 300 Millionen kassierte. Stadtkämmerer Klaus Jungfer verhängte rasch eine Haushaltssperre und stoppte auch die Investitionen in die Infrastruktur.

Auch die Bundesregierung reagierte, indem sie – wie so oft – eine Kommission gründete: diesmal zur Erarbeitung der unaussprechlichen „Gemeindefinanzreform“. Dort wird seit vergangenem Jahr ein Megaprojekt beraten: Die Wiederbelebung der Gewerbesteuer, gekoppelt mit der Vereinigung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, um den Gemeinden auch bei ihrem größten Ausgabenposten Erleichterung zu verschaffen: den Sozialausgaben. Es verwunderte wenig, dass der Münchner OB Christian Ude bald zu den eifrigsten Verfechtern der umfassenden Gemeindefinanzreform zählte, nach der nicht nur die Gewinne der ansässigen Unternehmen als Grundlage für die Gewerbesteuer herangezogen werden sollen, sondern beispielsweise auch deren Kreditzinsen, Mieten, Pachten, Leasing- und Lizenzgebühren. Der Münchner Stadtkämmerer Klaus Jungfer sieht darin einen gerechteren Ansatz als bisher: „Diese ertragsunabhängigen Elemente ermöglichen es erst, die Unternehmen nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern.“ Bislang zahlen nur etwa 16.000 der 130.000 Münchner Betriebe Gewerbesteuer, was laut Jungfer neben anderem daran liegt, „dass viele Unternehmen die Zinsen auf Fremdkapital von der Steuer absetzen können. Wer gesund wirtschaftet und über eine Menge Eigenkapital verfügt, wird dagegen bestraft.“

Auch den Bundespräsidenten beunruhigen Straßen voller Schlaglöcher

Die geplante Reform der Bundesregierung begrüßen Ude und Jungfer nachdrücklich. Schließlich deckt sich das rot-grüne Programm weitgehend mit jenen Vorschlägen, die kommunale Spitzenverbände wie der Städtetag gefordert haben – angetrieben nicht zuletzt von Christian Ude und Frankfurts Oberbürgermeisterin Roth. Stadtkämmerer Jungfer erhofft sich von einer Gemeindefinanzreform zum 1. Januar 2004 etwa 300 Millionen Euro an zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen – das, sagt er, „ist ziemlich genau das strukturelle Defizit, das die Stadt München drückt“. Allerdings müsste Jungfer davon wiederum 70 Millionen Euro abziehen, die ihm, verflixter Regierungseifer, durch die vorgezogene Stufe der Steuerreform voraussichtlich durch die Lappen gehen werden. Unter dem Strich bliebe aber eine Menge übrig, falls, so Jungfer, „die Regierung auch daran denkt, die Gewerbesteuerumlage wieder auf den alten Stand zurückzufahren.“

Nach welchem genauen Modell die kommunalen Kassen ab Januar kommenden Jahres aufgefrischt werden wollen, ist allerdings noch offen. Die Kommission, die seit letztem Jahr unter Vorsitz von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) über die Gemeindefinanzreform diskutierte, konnte keine Einigkeit erzielen worden. Vor einem Monat ging die Kommission auseinander – ohne Konsens. Zwei Modelle standen sich gegenüber: das des Deutschen Städtetages, der künftig auch Freiberufler wie Rechtsanwälte und Ärzte in die Gewerbesteuer einbeziehen und zudem Zins- und Mieteinnahmen gewerbesteuerpflichtig machen will. Die Opposition im Münchner Rathaus sieht es dagegen anders. Sie vertritt das Alternativmodell. Der Finanzexperte der CSU-Fraktion, Thomas Schmatz, geißelt die Pläne des Städtetages „als Versuch, die in den Neunzigern abgeschaffte Gewerbekapitalsteuer durch die Hintertür wieder einzuführen“. Durch die Erweiterung der Besteuerungsgrundlagen sieht er vor allem den Mittelstand belastet: „Eine Münchner Großbäckerei hat mal ausrechnen lassen, was sie dann an Gewerbesteuer mehr zahlen müsste als bisher: 30 Prozent! Diese Mehrkosten können die Betriebe nicht mehr an die Kunden weitergeben.“ Schmatz befürchtet eine Welle von Firmenpleiten, falls sich Finanzminister Eichel für die Gemeindefinanzreform des Städtetages entscheiden wird. Schmatz ist für den Vorschlag des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Danach soll die Gewerbesteuer ganz abgeschafft werden. Stattdessen sollen die Kommunen die Möglichkeit erhalten, sich über individuell gestaltete Tarife bei der Einkommensteuer zu bedienen – also bei den Bürgern. Schmatz wirft dem Stadtrat vor, „die Ausgaben in den guten Jahren immer höher getrieben“ zu haben. „Dabei ist es einfach: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“

Solche Sätze bringen Münchens Kämmerer Klaus Jungfer auf die Palme: „Gestiegen sind nur jene Ausgaben wie Sozialleistungen, zu denen wir gesetzlich verpflichtet sind. Eine Erhöhung der Einkommensteuern trifft einseitig die Arbeitnehmer, die Folge wäre eine massenhafte Abwanderung ins Umland.“

Die Gewerbesteuer hingegen sei der angemessene Weg, „über den die Unternehmen jene Infrastruktur bezahlen, die wir ihnen zur Verfügung stellen. Und die ist kaum irgendwo besser als in München.“ Stimmt. Hier darf man sogar Partys im Rathaus feiern.