■ Die aktuelle Wiederholung: Nostalgische Ansichtskarte
Im Fernsehen wimmelt es von Wiederholungen. Guter Anlaß für ein kritisches oder sentimentales Wiedersehen. Heute:
„Ein Herz und eine Seele“, 21.50 Uhr, ARD
Die „Harald-Schmidt-Show“ ist – jeder weiß das – politisch inkorrekt. Aber sie ist nicht – und nicht jeder will das wissen – akorrekt, sondern antikorrekt; sie verweigert sich nicht dem Thema p.c., sondern nur seinen Tabus.
Als am 29. 1. 1973 „Ein Herz und eine Seele“ die bundesdeutschen Wohnzimmer erstmals heimsuchte, wußte die Welt noch nichts von p.c. Aber die vielzitierte „dusslige Kuh“ funktionierte als provozierender Running Gag schon damals genauso wie Ina Werner heute als dusslige „Pamela Anderson“. Und wem das inkarnierte Vorurteil Alfred Tetzlaff aus der Seele sprach, dem mochte es trotzdem nicht so warm ums Herz werden wie bei den Millowitsch-, Komödienstadl- oder Ohnsorg-Familien.
Denn – und hier endet die Parallelität zur „Harald-Schmidt- Show“ – „Ein Herz und eine Seele“ war nicht nur politisch inkorrekt, sondern auch politisch. Der Tetzlaffsche Naturalismus war eine Bewältigung der Willy- Brandt-Ära, ein Sitcom-Essay für die ganze Fernsehfamilie. Hier mischte sich der orientierungslose Muff der Vor-68er mit der nicht minder orientierungslosen Muffeligkeit der Nach-68er zu einem ganz eigenen, dialektisch-selbstironischen Odeur.
Vielleicht deshalb waren Wolfgang Menges spätere Ossi- Wessi-Familiengeschichten nicht mehr so beherzt und beseelt wie die seiner Tetzlaffs. Kohl-Witze hat schließlich jeder im Repertoire, aber machen Sie mal ganz spontan einen Brandt-Witz ...!
In der Wiederholung allerdings wird aus der politischen Pointiertheit des Projekts eine nostalgische Ansichtskarte: Großartig, wie und was die damals gemacht haben, der Schubert, die Wiedemann, die Krekel, der Krebs, der Menge und der WDR! „Kult-Fernsehen“ eben. Wer allerdings „Ein Herz und eine Seele“ schon damals nicht gemocht hat oder hätte, guckt heute auch nicht „Nachtschwester Kroymann“ oder Küppersbuschs „Privatfernsehen“. Und wer das Ekel damals nicht mochte, schaltete es einfach ab. Heute schaltet man um. Christoph Schultheis
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