■ Die abstruse Story einer mißglückten Einreise in die USA: Im Jahre 18 nach Carlos
„Haben Sie sich jemals am Völkermord beteiligt?“ Ja? Nein? Das Zutreffende bitte ankreuzen. Nein, die Hamburger Filmemacherin Ulrike Schaz und die Berliner Historikerin und Journalistin Susanne Heim, die Ende März das Formular der US-Immigrationsbehörde am New Yorker Flughafen ausfüllten, haben keine Juden ausgerottet, nein, sie sind auch nicht drogenabhängig. Auch als Prostituierte waren sie nie tätig und haben sich im übrigen zu keiner Zeit an terroristischen Aktivitäten beteiligt. Und geistig behindert sind sie auch nicht. Nachdem sie alles wahrheitsgemäß angekreuzt hatten, glaubten sie, problemlos ins Land von freedom and liberty einreisen zu können.
Pustekuchen. Da lag diese abstruse Geschichte mit Carlos dazwischen. Zwar 18 Jahre her. Doch Computer haben ein gutes Gedächtnis, und so wurden die beiden Frauen erst einmal geschlagene acht Stunden lang verhört, erkennungsdienstlich behandelt und anschließend in Handschellen und Fußfesseln zum Motel Comfort Inn gefahren. Komfort? Nicht die Bohne. Die beiden unerwünschten Deutschen mußten je ein Bett mit je einer Dominikanerin teilen. Die Fußketten wurden selbst nachts nicht abgenommen. Aber von Schlaf konnte ohnehin nicht die Rede sein, weil vier FBI-Beamtinnen, zur Wache abgestellt, die ganze Nacht im sicherheitshalber hell erleuchteten Raum fernsahen, übliche Lautstärke selbstredend.
Am folgenden Morgen humpelten die beiden Frauen – immer noch in Fußketten – in Begleitung einer Gruppe bulliger FBI-Beamter zur Gangway, wo man ihnen schließlich die Fesseln löste. Eine Stewardess von British Airways – es war dieselbe Crew, von der sie sich 26 Stunden zuvor verabschiedet hatten – fragte sie in freundlicher Unschuld, ob sie zum Shoppen nach New York geflogen seien.
Nein. Eigentlich wollten Ulrike Schaz, Regisseurin einer Reihe von Dokumentarfilmen über Gewalt gegen Frauen, über Künstlerinnen, Geburtenkontrolle und Bevölkerungspolitik, und Susanne Heim, Autorin von „Vordenker der Vernichtung“, eines Wälzers über die nationalsozialistischen Pläne für eine neue europäische Ordnung, bei verschiedenen US-Instituten im Zusammenhang mit einem mit öffentlichen Mitteln geförderten Filmprojekt über das Thema der Überbevölkerung recherchieren.
Daraus wird nun erst mal nichts, und daran schuld ist, wie gesagt, Carlos. Die Geschichte liegt fast zwei Jahrzehnte zurück. Als Ulrike Schaz 1975 in Paris zu einer Fete gehen wollte, wurde sie statt mit Musik und Tanz von 20 flics empfangen, fünf Tage lang verhört und anschließend den deutschen Behörden überstellt. Erst bei der Vernehmung durch das BKA erfuhr sie, daß just im Pariser Haus, wo die Fete steigen sollte, der weltweit als Topterrorist gehandelte Venezolaner Illich Ramirez Sánchez, besser bekannt unter seinem Pseudonym „Carlos“, zwei französische Geheimdienstler und einen Libanesen erschossen hatte. Schon 1976 merkten die Franzosen, daß die Hamburgerin mit der Sache nichts zu tun hatte, und teilten ihr mit, daß sie jederzeit wieder einreisen könne. Auch das BKA stellte die Ermittlungen wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ (§ 129) – die „terroristische Vereinigung“ war juristisch noch nicht erfunden – schon 1976 ein.
Doch elf Jahre später holte die leidige Geschichte die Filmemacherin wieder ein. Als sie 1987 ihre Tante in New York besuchen wollte, wurde ihr das Einreisevisum verweigert. Zwei Monate danach wurde sie vom Hamburger US- Konsulat zu einem klärenden Gespräch gebeten, bei dem sie über „Carlos“ befragt wurde. Nachdem sie die Schreiben aus Paris und Karlsruhe nachgereicht hatte, versicherte man ihr schließlich, daß nun die Bedenken gegen eine Einreise ausgeräumt seien. Die Sache schien geklärt.
Als Ulrike Schaz und ihre Arbeitskollegin Susanne Heim am 24. März dieses Jahres – 18 Jahre nach dem Vorfall in Paris – auf dem New Yorker Flughafen nach der Adresse von „Carlos“ gefragt wurden, glaubten sie das Mißverständnis durch ein kurzes Telefonat mit dem Hamburger Konsulat aus der Welt schaffen zu können. Doch weit gefehlt. Ein Anruf nach Deutschland wurde nicht gestattet. Ja nicht einmal mit der Botschaft in Washington oder mit einem Rechtsanwalt durften die beiden Frauen Kontakt aufnehmen. Sie hatten keine Chancen. Ulrike Schaz wurde als unerwünschte Person ausgewiesen und Susanne Heim, weil sie „in Begleitung einer unerwünschten Ausländerin“ war, wie der Immigrationsbeamte in ungelenker Handschrift festhielt.
Die Folge der mißglückten Reise nach Amerika waren nicht nur geschwollene Knöchel und über zweitausend in den Sand gesetzte Eier. Die beiden Frauen mußten ihr Drehbuch neu schreiben. Natürlich wollen sie das nicht alles auf sich sitzen lassen. Inzwischen haben sie das Auswärtige Amt in Bonn, den deutschen Botschafter in den USA und die IG Medien eingeschaltet. Bislang fruchtlos.
Doch hat ihnen das US-Konsulat freundlicherweise schon mitgeteilt, sie würden nun problemlos ein Einreisevisum erhalten. Den Sichtvermerk benötigen Deutsche seit vier Jahren nicht mehr. Und auf dem Formular der US-Immigrationsbehörde heißt es schwarz auf weiß: „Der Besitz eines Visums ist keine Einreisegarantie.“ Im übrigen hatte die Berliner Historikerin bereits ein gültiges Visum im Paß. Doch das wurde bei der mißglückten Einreise von der Immigrationsbehörde – „don't be offended“ – kurzerhand ungültig gestempelt. Thomas Schmid
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