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Die Zeit zwischen acht und zehn Im Radio rollen die Fußbälle

Ausgehen und Rumstehen

von Detlef Kuhlbrodt

Es ist Samstag. „Zu Hause sein bedeutet unvollständiges und beständiges Ankommen, ein Ankommen, von dem wir uns selbst immer wieder erzählen müssen“ postet eine FB-Freundin. Der Satz stammt aus dem Buch „Zuhause. Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen“ von Daniel Schreiber.

Ich selbst sehe das nicht so pathetisch. Wenn ich eine Weile draußen bin, freue ich mich aber auch immer wieder auf die Zeit, in der ich am Schreibtisch sitze und an die acht Wohnungen denke, in denen ich in den letzten 30 Jahren gewohnt habe. Um mir noch etwas aufzuheben, lese ich das Buch nicht ganz zu Ende. Ich gehe spazieren bzw. einkaufen. An den Zweigen der Bäume, über dem Platz, wo oft die Junkies trinken, hängen Schuhe. Eine Tüte Essen bei Lidl kostet kaum 10 Euro. Die Mitarbeiter sind sehr nett. Ich bin etwas begriffsstutzig und brauche lange, bis ich die Eier finde. Zwei Perlenbacher-Biere kommen auch mit, weil G. mich vorgestern mit zwei Flaschen des kostengünstigen Biers besucht hatte. Mit ihr zusammen hatte das Bier überraschend gut geschmeckt.

Es war sowieso ein schöner Abend gewesen. In der Urbanstraße praktiziert „Sonja Schlecht, Anwältin für Familienrecht“. Vor einem Lokal hängt eine Getränkekarte, auf der Getränkekarte ein Aufkleber eines gefüllten Bierhumpens mit der Parole „Bier ins Bierloch“. Daneben hat jemand in Schreibschrift geschrieben, „Liebe ist für jede/n da“. Über dieser Feststellung – oder ist es eine Forderung? – ein Anarchisten-A; darunter ein Herzchen.

Im Radio rollen die Fußbälle in den dafür vorgesehenen Stadien. Dann ist es schon wieder Abend.

Eigentlich hatte ich weggehen wollen, aber irgendwie geht es nicht. Ich trinke eine Flasche Perlenbacher-Bier. Witzig, dass man den Verschluss auf- und wieder zudrehen kann. Alleine schmeckt das Bier nicht so gut.

In der Nacht wach ich immer wieder auf mit Zahnschmerzen, trinke kaltes Wasser, nehme eine halbe Ibuprofen, gleite wieder in den Schlaf, wache wieder auf. Rauche, mache die Zigarette wieder aus, weil der Rauch im Mund wehtut. Zwischendurch träume ich von Karotten. Langsam wird es heller. Es ist halb sieben. Ich wusste gar nicht, dass es so früh schon hell ist, stehe auf, öffne die Balkontür, setze Wasser auf und Milch mit Haferflocken; das soll gesund sein. Bin ich im Bad, lüftet das Zimmer. Ich esse die Haferflocken und gehe dann mit dem Kaffee zurück ins Bett zum Lesen. Wo ist nur die Brille? Ich finde die Brille nicht. Dann lese ich eben ohne Brille. Angeblich ist das ja gut für die Augen.

Eigentlich gibt es kaum etwas Schöneres, als morgens im Bett Kaffee zu trinken, zu rauchen und zu lesen. Ich bin auf der Zielgeraden des Buchs – „Alle Farben Rot“ von Laksmi Pamuntjak – das fast 700 Seiten lang ist. Die Heldin ist nun Anfang sechzig; ihre Suche ist fast zu Ende. “‚Unter allen, die im Veda kenntnisreich sind, ist er der Beste!‘– so riefen die Wesen, als Bhisma auf der Erde lag, gehalten von Tausenden Pfeilen, die seinen Körper durchbohren.“

Am späten Nachmittag geh ich in die „Weiße Taube“ zum Fußballgucken. Zehn Männer sind da und zwei Frauen. In der Pause vor der Kneipe kiffen. Leider fällt später das Tor für die Falschen. Zum Glück hat der „Club49“ schon auf. Zu viert am Tresen. Schummrig wie immer. Schön, auch hier zu Hause zu sein.

Die Zeit zwischen acht und zehn ist am besten. Kai erzählt von dem Konzert von Laura Guidi gestern in der italienischen Deriva-Bar in Neukölln. Auf Fotos, die er gemacht hatte, sieht die Sängerin tatsächlich aus wie Marc Bolan. Später kommt die Sängerin und erzählt, wie sie einmal dem Sohn von Noddy Holder, dem Leadsänger der berühmten 70er-Jahre-Band Slade, begegnete. Volker Hauptvogel schneit herein. Er ist ein Punker-Urgestein. Demnächst wird er auch wieder eine Platte veröffentlichen.

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