: Die Wortschwallakrobatin
„Aufmarsch der Itaker“: Zum 50. Jahrestag des deutsch-italienischen Abkommens über „Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften“ erzählt Francesca de Martin in der Schwankhalle die Geschichte italienischer Gastarbeiter
Bella Italia! Spätestens seit Goethe lieben die Deutschen Italien. „Aber nicht unbedingt die Italiener“, merkt Bremens italienische Vollblutkomödiantin Francesca de Martin in ihrem neuen Stück „Aufmarsch der Itaker“ an. „Selbst in den Siebzigern“, so Martin, „hießen wir noch Spaghettifresser, Itaker, Kanake, Kofferträger und vor allem Badoglios, also Verräter.“
Und die Italiener selbst? Die würden, so heißt es im „Aufmarsch“, zwar deutsche Qualitätsprodukte schätzen, aber weder Deutschland noch die Deutschen wirklich mögen. Heute würden die nördlichen Nachbarn gern als „Krauti, teste dure, Kartoffel, Nazi“ bezeichnet.
Doch in den vergangenen 40 Jahren fand eine respektvolle Annäherung statt, von ihren Anfängen erzählt Martins Doku-Theater, eine dramatisierte Collage aus historischen Fakten, authentischen Berichten und Fotos. Martin interviewte 17 Deutsche und 16 Italiener zu ihren 60-er-Jahre-Erfahrungen in Wolfsburg. 78 Stunden Material wurden auf 420 Seiten niedergeschrieben, von denen heute, um 20 Uhr, 50 in der Schwankhalle zur Voraufführung kommen.
Es war Wirtschaftswunderzeit in Deutschland und Wirtschaftskrisenzeit in Italien, so dass die Menschen wanderten. Dem deutsch-italienischen „Abkommen über Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften“ aus dem Jahr 1955 folgten zwei Millionen Italiener. Während viele von ihnen bald das Heimweh plagte, lagen bereits Millionen sonnenhungrige Deutsche an den Adria- und Riviera-Stränden. Maloche auf der einen, Muße auf der anderen Seite der Alpen. Der AC Bologna verpflichtet Helmut Haller und Spagetti Bolognese wird zum deutschen Nationalgericht.
Noch heute schielt manch Deutscher neidisch auf die scheinbar leichte italienische Lebensart. Francesca de Martin spürt diese fast neidvolle Ehrfurcht auch in Bremen, fühlt sich als „Luxusausländerin“: „Italiano klingt nicht mehr wie eine Beleidigung, das hat Flair, ganz anders als: Türke, Pole.“ Warum sich die Gesellschaft änderte, beschäftigt die Theatermacherin.
Martin selbst kam erst 1979 nach Deutschland – und ist seit 1986 Bremerin, wegen ihres Mannes, dem Regisseur Alvaro Solar. Nach Gastspielen in Wolfsburg wurde Martin von der Stadt gebeten, ein Programm für die vielköpfige Gemeinde der italienischen VW-Arbeiter zu erarbeiten. Sie recherchierte und staunte, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass ihre Landsleute in einem Holzbarackenlager hinter bewachten Maschendrahtzäunen ghettoisiert wurden, Discos und Kneipen nicht betreten durften. Aus den auf ein, zwei Jahre befristeten VW-Verträgen und dem Traum von Reichtum wurde bei vielen ein bescheidenes Leben als Auswanderer – zwischen Entfremdung von der alten und Orientierungslosigkeit in der neuen Heimat.
Die als kauderwelschende Wortschwallakrobatin für ihre kabarettistische Leidenschaft und Spielfreude bekannte Künstlerin will sich erstmals in ihrer Karriere ganz zurücknehmen, wenn sie die Interviewfragmente in all ihrer Widersprüchlichkeit vorstellt. „Ich möchte die Rollen nur skizzierend anspielen, nie mit Sarkasmus und spontanen Gags kommentieren. Ich habe sehr viel Respekt vor den Menschen und ihren Lebensgeschichten.“ Und ebenso viel Respekt für die „beispiellose Italienisierung“. „Wolfsburg ist zwar keine schöne, aber eine charmante Stadt geworden.“ fis
„Aufmarsch der Itaker“ ist heute und morgen, um 20 Uhr, in der Schwankhalle am Buntentorsteinweg zu sehen.