Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Wolfgang Thierses Ausrutscher zu Kohl war doof - und Olaf Scholz wird sicher nicht zum "Sozi der Herzen". Dafür kann man nach dem Abtritt von Stefan Aust wieder versuchen, den "Spiegel" zu lesen
W as war schlecht in der letzten Woche?
Friedrich Küppersbusch: Hallo Autofahrer! Das Licht vorne an meinem Rad heißt gar nicht "Hey, hau mir doch mal ne volle Ladung Fernlicht in die Pupille, damit ich blinzeln, anhalten und absteigen muss" .
Friedrich Küppersbusch ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Was wird besser in dieser?
Na ja ohne Licht fahren? Hat wer einen Tipp? Wenn ich groß bin, lade ich mir drei Autobatterien aufs Rad.
Wolfgang Thierse hat gesagt, dass Kohl seine kranke Frau "im Dunkeln sitzen ließ". Ein Orkan von Entrüstung war die Antwort. Hat Thierse so unrecht? Oder darf man so etwas als Vizepräsident des Bundestages nur nicht sagen?
Das war richtig doof, für Thierses Verhältnisse bemerkenswert unüberlegt, taktlos. Oben drauf hat Müntefering eine solche Verteidigung nicht verdient, in einer Sache, in der ihn niemand angreift. Vermutlich hat Thierse wieder zu viel Talkshows geguckt, und offenbar bevorzugt er dabei schlechte.
Kohl hat Thierse verziehen - ein Fall von Altersmilde?
Kohl hat Thierse als "schlimmsten Präsidenten seid Göring" angehasst, den frühen Gorbatschow als "guten Rhetoriker, wie auch Goebbels einer war" bepöbelt - das war sein legendärer Blackout. Davon versteht er also was.
Am Donnerstag wird Olaf Scholz Arbeitsminister. Hat er wirklich Chancen, erfolgreicher zu sein als Müntefering?
Schröders Wahlversprechen von den "unter 3 Millionen Arbeitslosen" wird Scholz laut Bundesagentur auch 2008 nicht einlösen können. Müntefering schaffte es unter 3,5 und kriegte damit immerhin bedeutend mehr als Schröder hin. Eh egal: Ein "Sozi der Herzen" wie der politische Facharbeiter Münte ist Scholz schon habituell nicht. Und ein bester zweiter Mann, der das im Inneren auch weiß, ist er erst recht nicht. Hat die große Koalition seit dieser Woche ihre beste Zeit hinter sich, liegt das an so etwas Verlachtem wie einer soliden Solidarität. Die wird Merkel vermissen. Gegen aggressivere Partner aber wird sie kämpfen, und - Pech für die SPD - gewinnen.
Hat die große Koalition noch genug Projekte und Gemeinsamkeiten, um bis 2009 durchzuhalten?
Ich nehme es so wahr, dass vor allem die Kanzlerin diese Frage nicht stellt. Sondern sich umgekehrt fragt: Taugt diese Aufstellung, ohne Machtverlust kommende Aufgaben zu bewältigen? Die eine Stelle, an der sie mehr tut als abwarten, gucken und Optionen berechnen, ist die ihres Machtstrebens. Die Koalition auch wegen des populären Duos Merkel/Münte erhalten zu müssen, ist ihr von den Schultern genommen.
Oder hält sie nur zusammen, dass beide keine Alternative haben?
Die CDU/CSU hat, die SPD nicht.
Wieso hätte die SPD denn keine machbare Alternativen?
Sie verfolgt eine - nun ja, ich tue mich schwer, "Strategie" zu sagen, wenn es eigentlich das ist, was übrig bleibt, wenn man keine hat: Beck versucht mit den seinen, das Schiffchen so in den Wind zu drehen, um bei der nächsten Wahl sozusagen von oben Linkspartei und Grüne zu marginalisieren. Dieser Sozialdemoskopie-Style bringt alle drei Parteien eher auf jeweils 15 Prozent als eine auf 40 oder gar Brandtsche 45 Prozent. Es ist historischer Mumpitz, der Versuch des Mittelmaßes, es sich gemütlich zu machen, bis dass einer der seltenen Charismatiker sie verscheucht. Brandts "Mehrheit diesseits der Mitte" existiert, um den Preis, dass sie regierungsunfähig gespalten bleibt.
Hans Weingartner zeigt in "Free Rainer" einen TV-Macher, der kalt, böse und erfolgreich ist (und sich zum Gutmenschen wandelt). Ist das bloß ein ödes Klischee - oder gibt es solche üblen Typen im TV-Business?
Außer mir alle.
Harald Schmidt und Oliver Pocher haben ein "Nazometer" erfunden und sich dafür viel Kritik eingehandelt. Zu Recht, weil die Gags einfach nur doof sind? Oder ist das ein Zeichen, dass man über Nazi etc. noch immer nur bedingt Witze reißen darf?
Finde ich zeitgemäß. Es folgt dem Trend "was du nicht hinbekommst, kannst du immer noch senden". Große Zuschauergruppen wollen nicht mehr sehen, welchen Schlagersänger die Redaktion ausgewählt hat - sondern, wie sie ihn aus 20 Stimmbandamputierten auswählt. Die Welle der Castingshows bestand wesentlich darin, einen Produktionsschritt, der früher vor der Sendung stattfand, jetzt als Sendung zu verkaufen. Logisch wäre "Deutschland sucht den Supernaziwitz für die ganze Familie und mit Migrationshintergrund, jetzt auch für Frauen mit anderer sexueller Orientierung" mit und aus Protest ohne Michel Friedman in der Jury.
Der Idee, den Leuten keine Show, sondern ihre Entstehung zu zeigen, entsprach ja schon die Anwesenheit des Redaktionsleiters auf der Bühne. Allfällig tobende ARD-Rumpelstilisten sollten schnell ihr eigenes Eckchen bekommen. So ein Intendantengehalt muss ja auch abgearbeitet werden.
Die Ära Aust geht im "Spiegel" zu Ende. Ist das eine gute Entscheidung der Spiegel KG? Oder eine zu späte?
Vermutlich hätte man sich gegen die galoppierende - das müsse ihm doch gefallen - Verfocussung der Medien auch wesentlich dümmer anstellen können als Aust. Am Ende von Aust ist noch genug Spiegel übrig. Ich werde wieder versuchen, ihn zu lesen. Denn wöchentliche Höchstdosen an Marktradikalismus von Leuten, die null unternehmerische Verantwortung und null Eigenkapital einsetzen - das war zeitweise schon wie Ehehygiene vom Vatikan.
Und was macht die deutsche Nationalmannschaft?
Nach wie vor Spaß. Wobei es der Nationalelf anhaltend gut tut, nicht in München aufgestellt zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag