Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Vom Kopftuchmädchen zum Rinderwahn bis hin zu einer margarineweichen SPD.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Keine neue Folge von "Ich bin liberal - holt mich hier raus!".
Was wird besser in dieser?
FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Einer fährt auch ohne Führerschein - für Liberale unter 80 Kubicki.
Am Dienstag wird das "Unwort des Jahres 2010" bekannt gegeben. Ihr Vorschlag?
Angela Merkels vordemokratisches Diktat, die Griechenlandhilfe sei "alternativlos", wurde vom Jurysprecher favorisiert. Wohl weil sich die Frage darin prismiert, wofür wir uns diese kostspielige Demokratie noch halten, wenn wir eh nur Sachzwänge abnicken dürfen. Nachdem "Wutbürger" das "Wort des Jahres" wurde, rangiert es auch beim "Unwort" aussichtsreich - ähnlicher Grund: Wenn Bürgerprotest der wütende Ausnahmefall sein soll - wie stellt sich die Demokratur die Regel vor? "Realtestkoffer" für selbst gebastelten Behördenterror, immer wieder "Kopftuchmädchen" oder gleich "Sarrazin" auf den Plätzen.
Mehr Kontrolle, höhere Sicherheitsstandards, Haftpflichtversicherung - mit einem Aktionsplan will Landwirtschaftsministerin Aigner den Futtermittelskandal in den Griff bekommen. Wird ihr das so gelingen?
Immerhin: Bei "BSE durch Tiermehl" hat man der Futtermittelindustrie Bewährung gegönnt, mit einer eigenen "Qualitätssicherung" ohne den Gesetzgeber Ordnung zu schaffen. Diese "QS"-Plakette hatte auch Harles & Jentzsch frisch am Fabriktor kleben, mit Fettfinger drauf, vermutlich. Aigner schwenkt mit diesen Vorschlägen von der bequemen Selbstkontrolle weg zum staatlichem Eingriff. Freuen wir uns auf Bankmanagerdemos mit dem Claim "Wir sind doch keine Bauern - Staat, hau ab!". Der ganze Politikansatz des Staates als Platzwart der Marktwirtschaft führt sich hier vor - falls wer hinguckt.
Scheut sich die Politik eigentlich, die Macht der Futtermittelindustrie zu brechen?
Besser die brechen als wir. Künast wurde verspottet, als sie sehr hohe Marktanteile für gesunde Landwirtschaft staatlich erzwingen wollte: Die Grünen wollen ein Bäuerchen machen. Mit jedem neuen Nahrungsskandal hingegen erweist sich die grüne als die Position der Wirtschaftsförderung: Schlechtes Essen kann der Chinese schon selber. Wenn wir dem was verkaufen wollen, sollten wir mehr als Chemiepampe können.
Die Regelung, Straftäter nachträglich in Sicherungsverwahrung zu nehmen, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Richtig so?
Nulla poena sine lege: Keine Strafe ohne Gesetz. Das Urteil des Gerichtshofs war erwartbar und, nun ja, alternativlos. Ich habe Horror vor freilaufenden unheilbaren Gewaltverbrechern, ich habe Kinder, kein Rechtsgrundsatz wäre mit heiliger als sie. Das alles konnten die Bundesregierungen, die das Thema munter haben schleifen lassen, absehen.
Kabinettsbeschluss zum Afghanistanmandat: Westerwelle nennt einen Abzugstermin, Guttenberg stellt ihn infrage. Wie kann diese Diskussion endlich beendet werden?
Die SPD hat sich ihr Ja mit der margarineweichen Wendung "Abzug ab 2011 je nach Lage" abkaufen lassen - so beendet man das Desaster nicht. Guttenbergs Profitruppe mag dem Gemeinbürger, der seine Söhne nicht mehr qua Wehrpflicht hergeben muss, deutlich egaler sein. Da haben wir gleich einen guten Grund, von der nächsten Regierung die Wiedereinführung des "Bürgers in Uniform" zu erwarten. Auch die Grünen könnten sich deutlicher entfischern und das populäre "Sofortiger Abzug"-Thema nicht mehr der Linkspartei überlassen.
Die SPD will Volksentscheide auf Bundesebene. Das Parlament soll sie aber korrigieren dürfen, sagt Saarlands SPD-Chef Heiko Maas. Gute Idee?
Sein Nochvorgänger Peter Müller, CDU, sagt das auch, wie die Grünen in NRW und irgendwie ja gerade alle. Mir graut immer noch - aktuell nicht vor der Todesstrafe, dem Evergreen dieser Debatte, sondern vor den stattgehabten Exempeln seither: wie Bild und CDU aus einem egomanischen Kokainisten den ehrwürdigen Senator Schill machten, wie Frau Sarrazin nun Schwester Diesel des Jahres wird und wie die Schweiz mit Jahrhunderten Volksentscheid jetzt von Rechtspopulist Blocher mitregiert wird. Die beispielgebenden Debatten - Schulreform Hamburg, Stuttgart 21, Rauchverbot Bayern, Religionsunterricht Berlin - tragen regionale Bezüge. Die neue Schlachtordnung heißt nicht mehr "Diese gegen jene Partei", sondern "Hie Bürger, dort Parteien". Ich würde lieber vierzig Einzelfragen im Wahlomaten ausfüllen, als Lobbypolitikern eine Wildcard auf vier Jahre geben. Übermorgen.
Und was machen die Borussen?
Zur Melodie von "Pippi Langstrumpf": "Wer wird Deutscher Meister? BVB Borussia!" Los …üben!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“