Die Wirtschaftsjournalisten in der Krise: Seher mit blindem Fleck
Die Finanzkrise kam für viele Wirtschaftsjournalisten überraschend. Neben dem neoliberalen Weltbild der Branche ist dafür ihr immer größerer ökonomischer Druck verantwortlich.
Wirtschaftsjournalisten haben es auch nicht leicht. Da platzt vor ein paar Jahren die Dotcom-Blase, ohne dass ihnen vorher jemand Bescheid gesagt hatte. Und jetzt, nur ein paar Augenblicke später, liegt die Finanzwelt in Trümmern, und wieder hat niemand vor dem Ausmaß der Krise gewarnt. Schönwetterjournalisten allesamt, wo doch ansonsten die Profession im Schwarzmalen ganz groß ist? "Wir sind meist schlecht im Vorhersagen, aber dafür gut im Deuten", schrieb am vergangenen Sonntag Rainer Hank, Leiter des Wirtschafts- und Finanzressorts der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
CHRISTIAN MEIER und STEFAN WINTERBAUER stellten kürzlich auf dem "Mainzer Medien Disput" ihr Dossier "Die Finanzkrise und die Medien" vor.
In der Tat. Es sei ein "kapitales Versagen" seines Berufsstandes, sagte der ehemalige WDR-Chef Fritz Pleitgen neulich, die Finanzkrise nicht "aufgespürt" zu haben. "Finanzjournalisten haben Beifall geklatscht, wenn die Gewinne angelsächsischer Banken in immer lichtere Höhen kletterten. Wie nachhaltig das alles ist, haben sie nicht gefragt", sagt Wolfgang Kaden, Ex-Chefredakteur des Manager Magazins.
Bereits 2007 erschienen in Medien wie Wirtschaftswoche, Financial Times Deutschland oder Handelsblatt kritische Artikel über die schlechte Verfassung des globalen Finanzsystems. Auslöser waren etwa der Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes oder hiesige Problemherde bei IKB und Bayern LB. In einen großen Zusammenhang gestellt haben das nur die Wenigsten. Bücher wie "Raubtierkapitalismus" von Dieter Balkhausen oder "Der Crash kommt" wurden wahr, aber vielleicht nicht ernst genug genommen. Bis zur Pleite von Lehman Brothers. Da standen Apokalyptiker plötzlich wieder hoch im Kurs.
Eine gängige und halbwegs akzeptable Rechtfertigung lautet: Wenn die Banker die Katastrophe nicht vorhersehen konnten, wie hätten wir das dann bewerkstelligen sollen? Gerade räumte Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann in der ARD ein, auch er habe das "volle Ausmaß" der heraufziehenden Krise nicht erahnt. Banker, Analysten und Journalisten haben in den vergangenen Jahren offenbar zu sehr auf die Allmacht des Marktes und die Funktionstüchtigkeit des neoliberalen Prinzips gesetzt. Der Herdentrieb ist in der Profession des Wirtschaftsjournalismus ausgeprägt. Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg sagt, die Strukturen des Wirtschaftsjournalismus seien so ausgerichtet, "dass man auf dem Auge der Kapitalismus- und Marktwirtschaftskritik im Zweifelsfall eher blind ist".
Der Wirtschaftsjournalismus steht zudem selbst vor einem ökonomischen Dilemma: Unter immer größerem Zeitdruck und bei immer komplexeren Themen sind Journalisten gleichzeitig mit massiven Einsparungen in ihren Redaktionsetats konfrontiert. Gruner+Jahr legt im Frühjahr unter dem Druck sinkender Werbeeinnahmen die Redaktionen der FTD und seiner drei Wirtschaftsmagazine zusammen. Das Interesse an Wirtschaft ist so groß wie nie, doch Geld lässt sich mit Informationen darüber weniger als bisher verdienen.
Die Folgen sind absehbar: Vorausschauende Analysen wird es bald nur noch in wenigen Leitmedien geben. Der Rest, darunter die Regionalpresse und der öffentlich-rechtliche Rundfunk, wird der Nachrichtenlage hinterherhecheln. Ob Finanzwebsites als verlässlich gelten werden, wird davon abhängen, ob sich Qualitätsjournalismus im Web finanzieren lässt. Der Rest sind fromme Wünsche an Verlage und Sender: eine gute Aus- und Weiterbildung und mehr Zeit für Recherche. Denn der nächste Crash kommt bestimmt.
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