: Die Weltmusik ist nicht genug
Braucht es mehr oder weniger Exotik? Noch boomt die Weltmusik, doch der Optimismus der letzten Jahre scheint brüchig geworden zu sein. Auf dem Branchentreffen Womex in Essen stritt man sich über verschiedene Wege der Modernisierung
VON CHRISTIAN RATH
„Visit the USA – before it visits you“, rief die Freiheitsstatue. Die mexikanische Ranchera-Sängerin Astrid Hadad hatte sich einen Strahlenkranz aufgesetzt und reckte ihre Taschenlampe als Fackel in den Himmel. Die karnevaleske Performerin präsentierte ihre Show am Wochenende bei der jährlichen World Music Expo (Womex) in Essen.
Auch ökonomisch wurden die Goliaths unserer Zeit bei der Womex herausgefordert. „Weltmusik ist nach wie vor ein Wachstumsmarkt“, erklärte Christoph Borkowsky, der Messedirektor, selbstbewusst. Sein spöttischer Unterton zielt auf die früher übermächtige Popindustrie, die heute vor allem Personal entlässt und Repertoire abbaut. Bei der zehnten Ausgabe der Womex trafen sich rund 2.000 Fachbesucher aus 90 Ländern der Welt, diskutierten, machten Geschäfte und schauten sich abends gemeinsam rund 50 Konzerte mit den potenziellen Weltmusik-Stars von morgen an.
Noch ist die Stimmung gut. Labels, Konzertveranstalter und Manager vertrauen auf das spezifische Weltmusik-Publikum, das meist älter als 30 ist und oft auch ganz gut verdient. Eine Generation, die noch nicht mit Tauschnetzen und CD-Brennern sozialisiert wurde. Menschen, für die beim Musikgenuss auch eine ästhetische Qualität von Booklet und Digipack zählt.
Doch der Optimismus, man könne die Branchenkrise einfach ignorieren, ist brüchig geworden. Mittlerweile gehen auch hier die CD-Verkäufe zurück, sind Konzerte schwächer besucht, gibt es weniger Fördergeld für die vermeintliche Völkerverständigungskultur. Der Produzent Joe Boyd („Cubanismo“) machte bei einer Diskussionsrunde eine „falsche Modernisierung“ traditioneller Musik für viele Flops verantwortlich. „Ich empfehle Künstlern, ihre Musik möglichst ursprünglich zu präsentieren, dann werden sie eher Erfolg haben.“ Das westliche Publikum suche nun mal „das Wunder in der Exotik“. Ähnlich argumentierte der Franzose Marc Benaiche von der Agentur Mondomix: „Wir sollten nicht die Musik verändern, sondern nur die Präsentation modernisieren.“ Er denkt zum Beispiel an Video-Installationen, wie sie Mondomix beim Womex-Eröffnungsprogramm mit Musikern aus Afghanistan einsetzte.
Andere hielten das jedoch für eine bloße Geschmacksfrage, zu Unrecht ins Kleid einer ökonomischen Wahrheit gepackt. So verwies etwa die Londoner Journalistin Katharina Lobeck auf den Erfolg brasilianischer Drum’n’Bass-Projekte in englischen Clubs. „Die erreichen ein Publikum auch weit jenseits der Weltmusik-Szene.“
Von Ursprünglichkeit ist auch bei anderen aktuellen Trends der Weltmusik wenig zu finden, etwa beim Mestizo-Pop aus der Migranten-Metropole Barcelona, in Essen vertreten durch die Band Macaco. Eine turbulente Feier der Diversität, bei der Rock, Reggae, DJ-Culture, Latin und HipHop partytauglich verwirbeln, und wie fast jede Mestizo-Band klangen sie ein wenig nach Mano Chao. Oder der Aufsteiger des letzten Jahres: HipHop aus dem Senegal, auch Sene-Rap genannt. In Essen zeigten Daara J, das derzeit führende Kollektiv, und Didier Awadi (Ex-Rapper der Pioniere von Positive Black Soul), dass Sene-Rap fast gar nichts mehr mit trommelnder Afrika-Folklore zu tun hat. Explizit auf den Senegal bezogen waren hier vor allem die Sprache (Wolof), die kritischen Texte und die durchweg flaggenfarben-patriotische Sportkleidung der Sene-Rapper.
„Nur wenn die Weltmusik die Jugend in den Clubs gewinnt, hat sie eine Zukunft“, argumentierte der New Yorker DJ und Produzent Fabian Alsultany. Er will etwa die lässige kongolesische Rumba remixen, damit die älteren Herren von Kékélé – noch ein Highlight in Essen – auch bei jugendlichen Hipstern bekannt werden. Der kanadische DJ Ian Menzies hält zwar nichts von Remixen („es gibt schon genügend schlechte“), setzt aber auf Künstler, die wissen, was gute Clubmusik ausmacht, etwa das Afro-Celt-Soundsystem oder die Tango-Innovatoren vom Gotan Project.
Alles Diskussionen, die in der Weltmusik-Szene nicht zum ersten Mal geführt wurden. Aber in Anbetracht der ökonomisch fragilen Situation scheint der Ton nun härter zu werden. Dabei funktioniert Weltmusik als positiv besetztes Marketing-Tool natürlich nur dann, wenn die ästhetische Diversität von allen Nutzern der „Marke“ mehr oder weniger akzeptiert wird.