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Die Welt der Pirahã-IndianerEin Leben ohne Angst und Sorgen

Die Pirahã-Indianer kennen weder Gott noch Götter. Auch keinen Besitz oder absolute Werte. Abseits der modernen Welt führen sie ihr unbeschwertes Dasein.

Im Amazonasgebiet sieht nicht nur für die Pirahã-Indianer alles grün aus. Bild: imago/Photoshot/Evolve

Die ganze Welt ist dem Geld und der (Zeit-)Logik unterworfen. Nein, nicht ganz: Ein kleines Volk in Amazonien, mit kaum 400 Menschen, ist standhaft geblieben. Es nennt sich "Hi'aiti'ihi" (die Aufrechten), Pirahã heißen sie bei den Weißen und Wissenschaftlern. Sie führen ein "Leben ohne Zahl und Zeit", schreibt der Spiegel. Außerdem kennen sie keinen Gott und keine Götter, haben keine Rituale und keinen Besitz. "Hüter der Glücksformel" werden sie auch genannt, weil der erste Erforscher ihrer Lebensweise und ihrer komplizierten Sprache, der Linguist Dan Everett, sie als "Das glücklichste Volk" beschrieb.

Es hütet jedoch kein Geheimnis, sondern eine einfach strukturierte Sprache - in der sich die Pirahã viel erzählen. Sie siedeln an einem Seitenarm des Amazonas, jagen und angeln und sind mit ihrem Leben überaus zufrieden, sodass sie sich kaum von irgendetwas affizieren lassen. "Die Pirahã reden sehr gern. Kaum etwas anderes fällt Besuchern, die ich zu den Pirahã bringe, so stark auf wie ihre Neigung, ständig zu reden und gemeinsam zu lachen", schreibt der einstige US-Missionar Everett, der während seiner langjährigen Arbeit umgekehrt von ihnen zum Unglauben bekehrt wurde und nun quasi ihr Stammesethnologe ist.

Aber ihre "kulturellen Werte" schränken die "Themen" ihrer endlosen Unterhaltungen stark ein, meint er. Mit den "Werten" ist ihr unbedingter Wille zum Sein in "unbegrenzter Gegenwart" gemeint. Die Pirahã kennen weder Vergangenheit noch Zukunft - und akzeptieren sie auch nicht. Everett spricht von ihrem "Prinzip des unmittelbaren Erlebens", dem er viel abgewinnen konnte, nachdem er ihre Sprache gelernt hatte: "Die Pirahã sind ganz und gar dem pragmatischen Konzept der praktischen Relevanz verhaftet. Sie glauben nicht an einen Himmel über uns, an eine Hölle unter uns oder irgendeine abstrakte Sache, für die zu sterben sich lohnt. Damit verschaffen sie uns die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie ein Leben ohne absolute Werte, ohne Rechtschaffenheit, Heiligkeit und Sünde aussehen könnte. Das ist eine reizvolle Vision."

Nichts von Jesus hören

Und weil es bei den Pirahã im Prinzip keine höhere Autorität als den Bericht eines Augenzeugen gibt, stoppten einige ältere Männer, die sich mit dem Autor angefreundet hatten, eines Tages auch dessen Missionstätigkeit: "Die Pirahã wollen nicht wie Amerikaner leben," sagten sie ihm. "Wir trinken gern. Wir lieben nicht nur eine Frau. Wir wollen Jesus nicht - und auch nichts von ihm hören."

Nach einer Glaubenskrise reifte in dem sich dann bei Noam Chomsky zum Linguisten umschulen lassenden Autor die Erkenntnis: "Ist es möglich, ein Leben ohne die Krücken von Religion und Wahrheit zu führen? Die Pirahã machen es uns vor. Sie stellen das Unmittelbare in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit, und damit beseitigen sie mit einem Schlag gewaltige Ursachen von Besorgnis, Angst und Verzweiflung, die so viele Menschen in den westlichen Gesellschaften heimsuchen."

Die stets gegenwärtig bleibenden Pirahã sorgen sich nicht. Dabei gäbe es Gründe genug: Sie sterben früh, u. a. an Tropenparasiten und den Krankheiten der Weißen, haben Jagdunfälle und Streitereien mit Nachbarstämmen. Weil die mit Schiffen gelegentlich bei ihnen anlegenden Händler sie bei Tauschgeschäften oft übervorteilen, wollten sie zählen und rechnen lernen, aber ihr transzendentaler Präsens verhinderte auch das Denken mit der Abstraktion Zahl. Die Begriffe für "links" und "rechts" kennen sie ebenfalls nicht. Und keine Häuptlinge, Rituale, Initiationen, weder Schwüre noch Schmuck, und keine Diskriminierung von Frauen oder Kindern, wenn man den Berichten glauben darf.

Ihre Konzentration auf das Wesentliche könnte man mit Friedrich Engels als urkommunistisch bezeichnen, Everett hält die Pirahã-Kultur jedoch mitnichten für "primitiv: Vielleicht machen gerade Ängste und Sorgen eine Kultur primitiv, und wenn sie fehlen, ist eine Kultur höher entwickelt. Wenn das stimmt, haben die Pirahã eine sehr hoch entwickelte Kultur." Außerdem kennen sie nicht weniger Begriffe als wir.

Entleerung der Gegenwart

Für den Philosophen der Französischen Revolution, Kant, war die "transzendentale Gegenwart" allein Gott vorbehalten, dafür war für ihn die "Zeit" transzendental - d. h. uns allen innerlich mitgegeben. Inzwischen meinen wir schon, dass es sich dabei um eine "substanzielle Größe" handelt, mit der wir immer ökonomischer umgehen können - um z. B. "Quality Time" daraus zu machen. Gleichzeitig bestritt die westliche Moderne ihren globalen Siegeszug mit den Zahlen - über Handel, Technik und Ingenieurwissen bis hin zur Kybernetik.

Aber bereits jetzt zeichnet sich ab, dass uns dabei die Gegenwart immer mehr abhandenkommt: Wie viele gegenwärtige Gesprächsrunden werden zerstört durch permanente Handyanrufe aus der Zukunft. Wie viele Sehenswürdigkeiten werden, statt sie sich genau anzukucken, nur schnell fotografiert oder gefilmt - für später. Wie viele Anstrengungen unternehmen wir täglich, um uns die Zukunft zu sichern - und sei es nur den Rest der Woche. Zeit ist Geld, heißt es, und Geld ist Zahl. Aber die Entleerung der Gegenwart geht noch weiter.

In seinem Buch "Geistige und körperliche Arbeit" schreibt der Sozialphilosoph Alfred Sohn-Rethel: "In der Kybernetik verfällt die Funktion der menschlichen Sinnesorgane und operativen Hirntätigkeit selbst der Vergesellschaftung" - während wir zugleich - beginnend mit der Industriearbeiterschaft - atomisiert werden. In der "Wissensgesellschaft" angekommen, haben wir es bald nur noch mit Algorithmen zu tun. Dafür können wir uns dann z. B. abends mit unserem Waschmaschinensystem unterhalten.

Horkheimer und Adorno konnten 1944, als sich die Kybernetik gerade aus der Lenkwaffenforschung "befreite", noch gnädig sein - in ihrer "Dialektik der Aufklärung" schrieben sie: Die ganze "Wissenschaft rechnet, rechnen ist nicht Denken. Denken entzündet sich am Widerstand. Systembauen ist die Ausräumung des Widerstands im Denken. Bei Mathematikern, Programmierern und Technikern geht das in Ordnung, bei allen anderen ist es eine höhere Form des Schwachsinns."

Das Ranking z. B. - heute wird sogar das Schwachsinnigste gerankt. Der zur Frankfurter Schule zählende Alfred Sohn-Rethel war in den siebziger Jahren radikaler: "Wenn es dem Marxismus nicht gelingt, der zeitlosen Wahrheitstheorie der herrschenden naturwissenschaftlichen Erkenntnislehren den Boden zu entziehen, dann ist die Abdankung des Marxismus als Denkstandpunkt eine bloße Frage der Zeit." Jahrzehntelang arbeitete er an seinem o. e. Buch darüber, in dem er nachzuweisen versuchte, dass und wie die naturwissenschaftlichen Begriffe "Realabstraktionen" sind, die auf dem entwickelten Warentausch basieren.

Die Pirahã am Maici-Fluss sind trotz gelegentlichen Handels gegen "Realabstraktionen" anscheinend resistent. Inzwischen leben sie in einem Reservat, und auf jeden Pirahã kommen vier Diplomanden, zwei Doktoranden und ein Professor. Auch der Staat Brasilien schickt immer mal wieder Kommissionen vorbei. Man hat jeden von ihnen schon x-mal fotografiert. Zweidimensionalen Bildern können die Pirahã übrigens auch nichts abgewinnen. Schon dasselbe wiederzuerkennen fällt ihnen, die alle paar Jahre ihren eigenen Namen ändern, schwer.

Sie sind die ersten und vielleicht letzten großen Verweigerer aller "Realabstraktionen". Bald werden die Touristen kommen, spätestens dann gilt auch für die Pirahã das kapitalistische Wertgesetz. "Die bürgerliche Gesellschaft ist beherrscht vom Äquivalent, indem sie es auf abstrakte Größen reduziert", schreiben Adorno/Horkheimer. "Der Aufklärung wird zum Schein, was in Zahlen, zuletzt in der Eins, nicht aufgeht; der moderne Positivismus verweist es in die Dichtung. Einheit bleibt die Losung von Parmenides bis auf Russell. Beharrt wird auf der Zerstörung von Göttern und Qualitäten."

Am Arsch vorbei

Die Pirahã, die überall nur Qualitäten wahrnehmen und statt Göttern höchstens dort gelegentlich Erscheinungen sehen, wo wir noch so genau hingucken können, sind wahrscheinlich als Ewiggegenwärtige dazu verdammt, in Zukunft nur noch eine romantische Idee aus der Vergangenheit zu sein. Eine Ironie des Realen. In seinem Amazonas-Bericht "Traurige Tropen" hat der Ethnologe Claude Lévy-Strauss das bereits 1955 befürchtet. Als stets Gegenwärtige wird es den Pirahã aber wohl in gewisser Weise am Arsch vorbeigehen. Ihre Population hat sich in letzter Zeit sogar vergrößert.

Es kann mithin auch anders kommen, dass sie z. B. an einem Institut für Antiamerikanistik zum Nukleus einer widerständigen Linguistikgemeinde werden. Bereits jetzt haben sie die "Universalgrammatik" von Noam Chomsky, die global und genetisch argumentiert, und für uns alle gelten soll, allein durch ihre extravagante Sprache, die laut Everett "in zahlreichen Punkten extrem ungewöhnlich ist und strukturell massiv von anderen, auch ,exotischen', Sprachen abweicht", quasi listig widerlegt, indem sie die kurzen Sätze ihrer Erlebniserzählungen wie Perlen auf eine Kette reihen.

Aber was immer mit den Pirahã passieren wird, sie helfen uns - das zu erfassen, was Rousseau den vielfältigen Ursprung unserer Gesellschaft nennt, "der nicht mehr existiert, vielleicht nie existiert hat und wahrscheinlich auch nie existieren wird und von dem wir dennoch richtige Vorstellungen haben müssen, um unseren gegenwärtigen Zustand beurteilen zu können."

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18 Kommentare

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  • A
    Ango

    Hab fast kein Wort von dem Artikel verstanden. Aber das Buch von Everett ist empfehlenswert. Zum Beispiel wird über die Ernährung der Piraha berichtet, über ihren friedlichen Umgang miteinander, über Familien, Erziehung und vieles mehr. Man kann einige Sachen von ihnen lernen.

  • M
    mikel

    @aurorua: genau!

  • WJ
    Wolfgang Jantzen

    Ich kenne Amazonien aus eigener Zusammenarbeit in einem Forschungsprojekt zur Bildung indianischer Völker.

    Der Bericht Ihres Autors wird die konservative brasilianische Anthropologenfraktion sehr freuen, die am liebsten aus den Indianergebieten einen Zoo machen wwürden, und erst recht die brasiliansichen fundmentalistischen Evangelikalen, die jede Berührung mit westlicher Kultur (außer natürlich mit ihrem autoritativen, faschistoiden Herrschaftsgott) als Schaden für die Seele der Indianer ansehen. Der Bericht ist ein Revival von Rousseaus edlem Wilden, bar jeder Kenntnis der wirklichen Situation der amazonischen Völker. Und dem Kommentar zur Unversalgrammatik kann ich nur zustimmen - ebenfalls bar jeder Kenntnis.

  • VC
    Vincenzo Cosimo Lombardo

    Bei aller berechtigten Kritik und der berechtigten Kritik an der Kritik, möchte ich gerne Kritik an der Kritik äußern.

    Man kann sich ja viel aufregen, über unsachgemäße Darstellung, über einfaches Zusammenfassen und so weiter. Ich will Oberlehrermäßig darauf hinweisen, dass das ziemlich lächerlich ist. Eine einfach Auflistung der falschen Punkte, ohne öffentliches Kundtun seines sehr sehr wichtigen Unmuts wäre produktiver.

    Ich habe das Buch gelesen und mir ist auch kein Einfall dazu gekommen, was an diesem Artikel in besonderer Weise rechtfertigt, dass er erst jetzt veröffentlicht wird und noch dazu nicht als Rezension (dann wäre er wahrscheinlich zu spät), sondern als Bericht über die Pirahã-Indianer etwas gemischt mit eigenen Einfällen, die ja scheinbar nicht fundiert sind, wie man den anderen Kommentaren entnehmen kann. Trotzdem finde ich den Artikel immerhin so gut, dass ich ihn zu Ende las. Das liegt am Thema, das sich nicht abnutzt und immer gleich Aktuell sein wird. Die Vergleiche die einige hier mit anderen Völkern vornehmen und der Unglauben die Piraha seien nicht wie dargestellt sind tatsächlich weniger Verständig als es den Anschein macht. Hier sehe ich viel eher eine unsensible gleichmacherei der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Nach dem Motto "Ich hab doch höchstpersönlich mit den Wilden geredet, ich hab ganz viel Erfahrung, ich bin ein guter helfender Mensch." Man kann ja sein Erstaunen und seine Zweifel äußern, aber die überlegene Haltung eines Kenners/ einer Kennerin einzunehmen und dabei vorrauszusetzen, dass die Völker Amazoniens sich alle gleichen müssten ist, gerade nachdem man den Artikel gelesen hat, dieses Verhalten ist zu hinterfragen.

    Das Buch bleibt beeindruckend. Der Artikel ist dabei auch viel weniger wertend, als teilweise vorgebracht. Er erzählt zwar aus einer bestimmten Perspektive, aber er sagt nicht: "Wenn wir alle im Jetzt sind wird alles gut!". Er sagt nur: "Vielleicht wären wir dann selbst glücklicher wenn alles den Bach runterginge." Was dabei den Bach runtergehen würde ist ein System, dass tatsächlich nicht auf ein Mehr an menschlicher Zufriedenheit (das zeigen uns viele psychologischen Statistiken) sondern auf einen materiellen Mehrwert hinarbeitet, der im Endeffekt gar keiner ist.

     

    so ungefähr... jetzt gebe ich noch "hupe" ein und schicke ab. Dabei ist zu betonen, dass dieser Kommentar wie alle anderen scheinbar auch, wenig durchdacht ist. Der Artikel könnte es etwas mehr sein... Aber naja, es ist eine Tageszeitung, da hat man wenig Zeit......

  • D
    diplom_hartzi

    Der Artikel wird die Osho-Jünger sicher freuen, die ja auch entspannt im Hier und Jetzt leben (wollen) und Krankheiten und Unfälle einfach ausblenden, genau so wie Lehren aus der Vergangenheit.

  • J
    Jones

    Als freier Mitarbeiter fuer Lokalzeitungen frage ich mich immer, was der Mehrwert meiner Wort fuer die Menschen sind. Manchmal schmeisse ich nach dieser Frage ganze Artikel um. Hat sich der Autor bei diesem Artikel solch eine Frage gestellt?

    Wie manche andere Kommentierenden herausgestellt haben: Der Artikel wirkt nicht anders als eine Zusammenstellung aus den Wikipedia-Quellen gewuerzt mit dem Einweben der systemimmanenten Religionskritik der taz. Den Mehrwert fuer die Leser sehe ich nicht.

    Mittlerweile nervt es nicht mal mehr. Es langweilt mich. Noch reichts fuer einen schnellen Kommentar. Strengts euch mal ein bisschen mehr an!

  • E
    eva

    Was soll dieser merkwürdige Artikel, der mir eine polemisch-platte Zusammenfassung von Dan Everetts nicht mehr wirklich neuem Buch zu sein scheint? Mehr als die TAZ-übliche Religionsschelte, mit ein bißchen Nostalgie und beiläufiger Herablassung zu den "glücklich Primitiven" scheint nicht dahinter zu sein.

    Doch, immerhin eins: "anzukucken" (sic) findet man in seriösen Blättern immerhin noch nicht. Und dazu zählt man mit so einem Artikel kaum mehr.

     

    Wer sich mit der gar nicht so rosigen Situationen der indigenen Völker weltweit befassen will, lese besser bei Survival International. Und übrigens zählen heute mehr denn je gerade "Missionare" verschiedener Denominationen zu denen, die den Indigenen dabei helfen, bei der früher oder später unvermeidlichen Kontaktierung nicht von den Bulldozzern der "Moderne" überrollt und zusammen mit ihren Urwäldern plattgemacht zu werden.

  • UB
    Ulrike Bickel

    Lieber Herr Höge, aus Ihrem Bericht wird nicht klar, ob Sie rein Sekundärliteratur ausgewertet haben, insbesondere einen alten Missionarsbericht vom US-Missionar Everett und philosophische Literatur.

     

    Oder waren Sie eine Zeitlang vor Ort und haben mit den Piraha in ihrer Muttersprache oder zumindest auf Portugiesisch kommuniziert? Das wäre bei sauberer journalistischer Recherche offenzulegen (bspw. steht bei Dominic Johnsons Artikeln immer, ob er aus Berlin oder Afrika vor Ort schreibt).

     

    Schade, dass wieder nur die selbstgefällige antireligiöse Haltung einer Reihe von TAZ-JournalistInnen recycelt und diesmal in ein Naturvolk hineinprojiziert wird.

    Ich kann mir - nach 17 Jahren Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit mit zahlreichen Brasilien- u.a. Lateinamerika-Aufenthalten und zig Unterhaltungen auf Portugiesisch und Spanisch mit Einheimischen - NICHT glaubhaft vorstellen, dass die Piraha auf eine naturnahe Spiritualität verzichten.

     

    Ich bin gespannt auf Ihre Erläuterungen!

    Mit freundlichen Grüßen,

    Ulrike Bickel

    Hamburg

  • X
    xxx

    @Ott: Dann helfen Sie doch mit, die Welt und die Journalisten von Unwissenheit zu befreien und erklären Sie, was an der Behauptung falsch ist.

  • JZ
    jan z. volens

    Ja, in der Steinzeit war es auch schoener in Sachsen! (Das war noch vor "Karl May"!). Was die Indianer SELBST ueber sich dokumentieren, sieh: SANDRA TERENA BREAKING THE SILENCE, - und: HAKANI LEVEND BEGRAVEN, und: PIRINOP MEU PRIMEIRO CONTATO.

  • K
    Klaus

    Schöner leben ohne heilige Berge und heilige Bücher, Weihwasser, Himmel und Hölle, Kopftuch. koscheres Essen, Ahnen- und Baumgeister, Wiedergeburt und allen sonstigen esoterischen Wahnideen. Vor all diesen Zumutungen ist man nur im Urwald sicher.

  • H
    hurzelby

    Sympathisches 'bildungsfernes' Volk, die sich eigentlich nix aufschnacken lassen wollen, dabei aber nicht rechnen können. Wüsste man nicht, dass sie am Amazonas leben, hätte man sie auch für Schleswig-Holsteiner halten können.

  • B
    Besserwessi

    "Die Pirahã sind ganz und gar dem pragmatischen Konzept der praktischen Relevanz verhaftet."

     

    Das sind 1.3 Miliarden Chinesen auch....

  • DH
    der hirsch

    hm... ist die sprache der piraha nun "kompliziert" oder "einfach strukturiert"? und: gibt es überhaupt so etwas wie "unkomplizierte" sprachen?

  • F
    FMH

    Dass dieser Stamm keine Begriffe für "links" und "rechts" besitzt, halte ich für irreführend formuliert: Der einschlägigen ethnologischen Fachliteratur dürfte sich entnehmen lassen, dass sich ein nicht unbeträchtlicher Teil von "Naturvölkern" stehts nach den den Himmelsrichtungen orientiert und eine auf den eigenen Körper bezogene, relative Raumeinteilung nicht praktiziert wird. Links und rechts sind logisch betrachtet auch sehr unpraktisch.

  • R
    rousseauist

    Das Goldene Zeitalter, auf das Rousseau hin seine Gesellschaftstheorie projiziert, ist eine Vorstellung, die er aus seinen antiken Lehrern herausdestilliert hat, und von denen auch das christliche Paradies abstammt. Rousseau wusste, dass es sich dabei um eine mythologische Epoche handelte, die keineswegs je existiert hatte (auch wenn er das seinen Zeitgenossen zu Liebe relativierte), sie funktioniert für ihn nur als theoretische Wurzel und hohes Ideal, von dem die moderne Kultur abstammt, die in jedem Aspekt rein dekadent, also niedriger ist.

     

    Tatsächlich ähnelt diese Pirahä-Kultur offenbar in vielem dem Urzustand, von dem er ausgeht, jedoch völlig ohne Konsequenz für ihn oder seine Lehre - Rousseau nämlich ging vom Ist-Zustand aus und wollte mit dem Blick auf das was angeblich mal war weiter in die Zukunft, eine "Zweite Natur", die selbst nicht mehr naiv ist, weil man, wenn man seine Unschuld einmal verloren hat, sie nie wieder zurückbekommt. Auf der Suche nach dem, was im Deutschen dann "Blödheit" genannt werden sollte, hilft der Blick zurück aber kaum.

    Man sollte also nicht den Fehler machen, Rousseau für irgendwie rückwärtsgewandt halten - er war progressiver als alle, die nach ihm kamen, seine Ziele waren Revolution (wenn auch nicht die, die sich nachher seinen Namen zu eigen machte) und Erziehung des Menschengeschlechts.

     

    Nun zu behaupten "sie [hälfen] uns - das zu erfassen, was Rousseau den vielfältigen Ursprung unserer Gesellschaft nennt, [...] von dem wir dennoch richtige Vorstellungen haben müssen, um unseren gegenwärtigen Zustand beurteilen zu können.", dann geht das Thema vorbei, weil es Rousseau nie darum ging, empirisch richtige Vorstellungen von einem Naturzustand zu haben, sondern darum die philosophisch vernünftigen Prämissen für diesen Urzustand anzulegen. So wie es für das Verständnis dessen, was ein gutes Christenleben eher unerheblich ist, was denn im Garten Eden passiert ist.

    Rousseau war eben ein Philohoph und kein Soziologe.

  • DO
    Dennis Ott

    Es ist unerträglich, dass wissenschaftlich naive Journalisten immer wieder die Mär verbreiten, dass Eigenschaften der Piraha-Sprache die Hypothese der Universalgrammatik "(quasi) widerlegen" würden. Diese Behauptung ist theoretisch unsinnig und faktisch falsch; sie kann überhaupt nur kohärent formuliert werden wenn ein völlig falsches Verständnis des Begriffs "Universalgrammatik" zugrunde gelegt wird. Aber es klingt ja spannender wenn man es so formuliert; wen interessiert da noch die langweilige Wahrheit.

  • A
    aurorua

    Keineswegs sind diese Menschen primitiv!

    Primitiv sind doch jene die unsere Lebensgrundlage nämlich die Erde (pachamama) vergewaltigen, ausbluten, wo nur irgend möglich zerstören, auspressen und aussaugen. Obwohl es längst technisch möglich ist, Wind, Sonne, Wasser als kostenlosen und unerschöpflichen Energieträger für die gesamte Energieversorgung der Erde nutzbar zu machen, wird der Erde Öl, Gas, Kohle, Uran usw. verbunden mit den nicht mehr zu reparierenden Umweltschäden abgepresst, deshalb werden Kriege geführt, ganze Völker in Hunger, Armut und Terror getrieben. Letztlich nur zum Zwecke der Gewinnmaximierung ohne Sinn und Verstand, das ist wahre Primitivität, das ist dumm und niederträchtig, falsch und ungerecht und trotzdem geht dieses absolut primitive Getue weiter bis zur endgültigen Zerstörung der Lebensgrundlagen aller. Da wird von Milliarden teurem Terraforming auf dem Mars gefaselt, während man gnadenlos dabei ist die eigene Erde zu vernichten! Der sinnlose Tanz ums goldene Kalb, die Verehrung des schnöden Mammons das ist primitiv und schlecht ob mit oder ohne GOTT/GÖTTIN.