Jenseits von Mottram Hall: Die Watschenmänner
■ Zum neunten Mal versuchen die Schotten, einen alten Fluch zu bannen
Einen besonders raffinierten Trick hat sich Schottlands Trainer Craig Brown ausgedacht, um endlich eine der größten Sensationen des Weltfußballs zu bewerkstelligen: den Einzug einer schottischen Nationalmannschaft in die zweite Runde eines großen Turniers. Zur Einstimmung auf die Europameisterschaft, die sie heute mit dem Spiel gegen die Niederlande beginnen, mußten sich die schottischen Spieler Mel Gibsons Film Braveheart anschauen.
Das ist Matti LIESKE
Sein Spieler: Robert Prosinecki.
Wegen seines gestreichelten
Übersteigers und weil er nicht
für Kroatien kämpft, sondern
nur „gut und erfolgreich Fuß-
ball spielen“ will.
Sein Team: Schottland. Wegen
der Dudelsäcke.
Europameister 96: Schottland.
Weil Fußball absurd ist.
Als Motivation für das Match gegen England am Samstag mag dieser psychologische Winkelzug ja geeignet sein, ob er jedoch die nunmehr 42 Jahre währende Unglückssträhne der Watschenmänner des Weltfußballs beenden kann, scheint mehr als fraglich. An Mut und Herz hat es den Schotten schließlich nie gefehlt, dennoch schieden sie bei sieben Weltmeisterschaften und einer Europameisterschaft jeweils in der Vorrunde aus. Von zwanzig WM-Spielen gewannen sie gerade mal vier, gegen Zaire (1974), den späteren Vizeweltmeister Niederlande (1978), Neuseeland (1982) und Schweden (1990).
Die Misere begann 1954, als sich jenes Volk, das mit Fug und Recht behaupten kann, an der Wiege des modernen Fußballs gestanden zu haben, nach langer Abstinenz nicht nur bereitfand, beim Kräftemessen der besten Teams mitzutun, sondern sich auch qualifizieren konnte. Das deprimierende 0:7 gegen Uruguay war symptomatisch für die triste Zukunft, die den Mannen aus Glasgow, Edinburgh, Aberdeen und Dundee bevorstand. 1958 holten sie immerhin ihren ersten Punkt und hielten sich danach klugerweise 16 Jahre lang von den Finalturnieren fern.
1974 hatten sie aber wieder Mut gefaßt und feierten ihren ersten Sieg, der nur nicht hoch genug ausfiel, um die zweite Runde zu erreichen. So ähnlich machten sie weiter bis zur EM 1992, wo sie sich die unverbrüchliche Freundschaft von Berti Vogts zuzogen, als sie zuerst brav mit 0:2 gegen das deutsche Team verloren, und dann, als ihre neuerliche Heimreise schon feststand, durch ein 3:0 gegen die GUS die Deutschen im Turnier und Berti im Amt hielten.
Bei alledem verloren sie nie ihre gute Laune, so daß das frühe schottische Ausscheiden in den Gastgeberländern nicht nur wegen des beherzten Spiels der Mannschaft, sondern auch wegen des fröhlichen Auftretens der Fans, im Gegensatz zu ihren englischen Nachbarn absolut friedfertig, stets bedauert wurde. Legendär ihre gemeinsamen Dudelsack- und Trommelkonzerte mit den brasilianischen Anhängern, imposant ihre Trinkfreude. 1986 in Querétaro hatten sie die Stadt nach dem, natürlich verlorenen, Spiel gegen Deutschland schon am frühen Abend komplett leergetrunken, schafften es aber dennoch bis weit nach Mitternacht, erstaunte Mexikaner zu ausgiebigen Polonäsen hinter Dudelsäcken zu versammeln. In Norrköping kamen die Spieler 1992 nach dem, natürlich verlorenen, Match gegen Deutschland eine halbe Stunde später noch einmal aus der Kabine, weil der gesamte schottische Fanblock immer noch singend auf der Tribüne stand und sein Team für dessen Kampfgeist feierte.
Sie werden uns fehlen, wenn sie am 18. Juni in Birmingham die Vorrunde der Gruppe C beendet haben und den kurzen, vermutlich längst gebuchten Heimflug antreten. Aber vielleicht kann Mel Gibson ja doch Wunder wirken. Matti Lieske
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