Die Wahrheit: Der Herr der Fliegen
Wer steht hier eigentlich im Walde? Aufklärung kann nur eine nicht ganz legale Giftpilzberatung bieten.
Der Herr der Fliegen kann keiner Fliege etwas zuleide tun? Irrtum. Der Fliegenpilz heißt nicht Fliegenpilz, weil seine Liebhaber nach dem Genuss vom Boden abheben, vielmehr kam der Pilz wegen seiner Wirkung auf Fliegen zu seinem Namen.
Denn früher diente der Fliegenpilz zum Fliegentöten. Dazu wurde der Hutpilz in Milch eingeweicht und lockte in einer Schale Fliegen an. Diese starben anschließend erwartungsgemäß wie die Fliegen. Ein tödliches Lockvogelangebot leider auch für naschende Kinder.
Deshalb sollte man diese Art Fliegenfang tunlichst unterlassen, mahnt ein altes Pilzbuch. Eine Fliegenfangflasche, die nur mit Wasser gefüllt ist, soll dieselben Dienste leisten wie die Giftschale, behauptet der Verfasser. Sein Vorschlag hatte offensichtlich Erfolg, kein Mensch mehr tötet heutzutage Fliegen mit Fliegenpilzmilch.
Das Verschwinden der Fliegenpilzmilchschalen von den Küchentischen ist eigentlich schade, denn um so eine Fliegenfalle aufzustellen, musste man den Wald aufsuchen und konnte sich dort dunklen Fantasien hingeben, wer alles beseitigt werden könnte. Seltsamerweise ist der Giftpilzmord heutzutage weitgehend aus der Mode gekommen, was verwundert beim Trend zur Nachhaltigkeit und zum Natürlichen. Dazu kommt die leichte Verfügbarkeit des Fliegenpilzes. Bei feuchtwarmem Wetter vermehrt er sich mit ungeheurer Schnelligkeit, wie das erwähnte Pilzbuch respektvoll feststellt.
Doch scheitert heute fast jeder geplante Pilzmord an Unwissenheit. Wer kann denn noch giftige von harmlosen Pilzen unterscheiden? So bleibt leider im Dunkeln, wie viele erfolglose Giftmischer ein essbares Pilzgericht zum Verzehr kredenzten.
Die falsche Beurteilung begleitet den Fliegenpilz schon seit vielen Jahren, selbst im Volkslied. „Ein Männlein steht im Walde“ beschreibt nicht etwa den Fliegenpilz, sondern enttäuscht mit der Auflösung „So kann das Männlein mit dem purpurnen Mäntelein nur die Hagebutte sein“! Da hilft nur eins: Pilzberatung! Genauer gesagt: Giftpilzberatung. Diese ist natürlich nicht ganz legal. Darum muss der Giftpilzberater sein rotes Käppchen tief ins Gesicht ziehen und einige Regeln beachten, denn sein Treiben ist nicht ganz ungefährlich.
Unter dem Vorwand, die giftigen Pilze zum Wegwerfen auszusortieren, bleibt der Giftpilzberater auf der sicheren Seite. Sein Klient, der angehende Giftmischer spielt das Spiel mit, zahlt lächelnd die saftige Beratergebühr und bereitet daheim zwei Pilzmahlzeiten vor: die leckere für sich und leckere giftige für den Gast.
Doch Vorsicht, die Verbraucherzentrale warnt vor Giftpilzberatern, die arglose Giftmischer skrupellos täuschen. Täuschung durch Unwissenheit, weil die betrügerischen Berater keine Ahnung von Giftpilzen haben! Da hilft nur, den Rest des Pilzgerichts ins Klo zu schütten und sich nach toxischen Alternativen umzusehen. Wie wär’s mit einem Schierlingsbecher? Todsichere Sache, mehr dazu am Ende der Pilzsaison.
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