Die Wahrheit: Rambo Raupe
Die Mehlmotten greifen an und fressen sich zu Hause durch alles an Nahrungsmitteln, was eigentlich längst ins Landesmuseum für Vorgeschichte gehört.
S eit Jahren tauchen in unserer Wohnung immer wieder Mehlmotten auf. Flügelspannweite bis 25 Millimeter, bleigrau gefärbt. Was haben wir bloß getan? Liegt es etwa daran, dass wir die Küchenschubladen selten aufräumen und bei uns lauter angebrochene Müsli-Packungen herumstehen? Das muss doch nicht gleich von jemandem ausgenutzt werden!
Ein Mottenweibchen legt bis zu 500 Eier. Daraus entwickeln sich kleine Raupen. Sie können Schraubverschlüsse überwinden, Verpackungen durchbeißen und bis zu 400 Meter weit kriechen. Sieh dir „Rambo“ Teil eins an und du weißt, mit wem du es zu tun hast.
Die Raupen sind weißlich gefärbt mit dunklem Kopf, und sie enterten plötzlich die Tastatur meines Laptops. Bei Mehlmottenbefall wird empfohlen, alles wegzuschmeißen, was einer Motte mundet. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich Nahrungsmittel in unserer Wohnung, die Auskunft darüber geben, wie sich Menschen ernährt haben, als Ramses der Erste noch unser lieber guter Pharao war. Ein Schatz für das Landesmuseum für Vorgeschichte.
Als ich für einen Moment nach oben sah, vermutlich um den Himmel anzuflehen, erblickte ich Mama und Papa der Raupenkinder an der Decke. Ihre Hinterteile in Liebe miteinander verbunden. Von dem Liebesglück sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch die Spartaner haben sich nicht nur platonisch geliebt, bevor sie die Perser vernichteten.
Erst hocken sie aufeinander und zerstören dann deine Lebensgrundlage. Überall flatterten sie, die Onkel und Tanten, Nichten und Neffen, Brüder und Schwestern aus der Falterfamilie der Zünsler, deren Lebensweise sich dadurch auszeichnet, dass sie auf Paarung aus sind und anderen die Vorräte wegfressen. Zwar lebe ich als Lesebühnenautor auch so, trotzdem wollte mir keine gattungsübergreifende Solidarität gelingen.
Auf der Suche nach dem Basislager meiner Endgegner schob ich die Schublade meines Schreibtischs auf und entdeckte das Übel ganz weit hinten. Ein vergessener Keks. Das Gewimmel, das sich mir darbot, war ein Memento Mori der Vergänglichkeit allen Seins.
Nachdem ich alles mit Essigwasser gereinigt hatte, bestellte ich auf der dunklen Seite des Versandhandels eine elektrische Insektenklatsche. Ausgefahren bringt sie es auf gut einen Meter Länge. Es ist die Bärentöterin unter den Klatschen.
Wer nun Mitleid mit den Motten hat, dem kann ich versichern, solange die Batterien frisch sind, dauert der Todeskampf am Gitterrost der Klatsche nicht lang. Es brizzelt kurz, und ja, ich begann mich ein klein wenig vor mir selbst zu fürchten, wie ich so hassverzerrt fuchtelte. Mehlmottenmobbing, bedenklicher Besitz einer elektrischen Klatsche. Was kommt als Nächstes? Kreuzchen bei der CDU? Harmloses Heben des rechten Arms? Und alles nur, weil ich eine Kekspackung in meiner Schreibtischschublade vergessen hatte. Der Firnis der Zivilisation ist dünner als gedacht.
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