Die Wahrheit: Der Leopard ist schön, vielleicht zu schön
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (209): Der größte Feind der stolzen Raubkatze ist, wie könnte es anders sein, der Mensch.
Für den Philosophen Paul Ludwig Landsberg geht es im verantwortlichen Leben darum, mit Leib und Seele sich für Dinge einzusetzen, die sich nicht vervollkommnen lassen.
Denken wir an den Leopard. Er sieht bereits ziemlich vollkommen aus. Die Tierfilmforscherin Christine Noll meint: „Alles leiblich Schöne erlebt man erst an Tieren. Wenn es keine Tiere gäbe, wäre niemand mehr schön.“ Und der Leopard ist schön, vielleicht sogar zu schön, denn er wird zunehmend unvollkommen: Er kann sich in seinen Verbreitungsgebieten nicht gegen die sich mehrenden Menscheneingriffe durch Besiedlung und Feldbestellung, Jäger und Wilderer wehren, das heißt, er findet keine Nischen zum Überleben.
Und all die dem Leoparden Wohlgesinnten – die Tierschützer und Nationalparkwächter, Ökologen und Leopardenforscher – setzen sich zwar für ihn ein, aber können ihn nicht vervollkommnen, dazu müssten sie die Menschen auf ganzer Linie vom Lebensraum der Leoparden abhalten; und nicht nur das, denn in einem solchen ungestörten Lebensraum würde sich die Leopardenpopulation vergrößern durch Nachwuchs – und der würde irgendwann aus seinem „Reservat“ abwandern und sich woanders neue Reviere suchen, wo er dann mit den Menschen in ihren Lebensräumen konfrontiert wäre.
Es müsste also laufend nachverhandelt werden, damit es nicht zu „Problemleoparden“ kommt. So fordern es auch die friesischen Bauern, die am Nationalpark Wattenmeer eine Kompensation für den Flurschaden bekommen, den die Ringelgänse auf ihren Feldern anrichten. Da diese und andere Gänse, die im Nationalpark rasten, dank der Schutzgesetze immer mehr werden, steigt auch der Schaden, den sie anrichten.
Gefährdet
Im Verbreitungsgebiet des Leoparden (Asien, Afrika und im Kaukasus) verhandeln die Leiter der Nationalparks ähnlich um mehr Land, was nicht selten mit der Umsiedlung ganzer Dörfer einhergeht, sie argumentieren mit den wachsenden Tourismuseinnahmen. Auf der Roten Liste sind die Leoparden bereits als gefährdet klassifiziert. Sie werden immer weniger.
In Afrika war und ist das Leopardenfell begehrt: Häuptlinge, Stammesfürsten, Staatspolitiker und Reiche zieren sich damit. Als in Amerika und Europa Leopardenmäntel bei den Frauen in Mode kamen, brachte das den Leoparden bereits fast zur Ausrottung.
Im Norden Ghanas kam es 1995 zu einem Krieg zwischen den Dagomba und den Konkomba. Deren Heiler bestimmten die Angriffe mithilfe eines Huhn-Orakels, und ihre Kämpfer besaßen ein Mittel, mit dem man ein Leopardwerden schafft und unsichtbar wird. Allerdings nur, solange man sich vor der Berührung mit Wasser hütet, sich nicht wäscht und keusch lebt. Bei den „Leopardenmenschen“ handelt es sich um eine alte schwarzafrikanische Werdung, die immer wieder in Kriegerbünden entstand. Wenn diese vom (Kolonial-)Staat allzu hartnäckig bekämpft wurden, verwandelten sie sich in „Verbrechensgesellschaften“ – hommes-léopards. In den USA nannte sich 1966 die afroamerikanische Selbstverteidigungsorganisation „Black Panther“. In Kumasi fing man 2013 einen der vermeintlich unsichtbaren Kämpfer. Er wurde getötet. Um seinen möglicherweise anhaltenden Zauber zu brechen, schlug man ihm den Kopf ab und tunkte ihn unter Wasser. Nach diesem Unschädlichmachen wurde er fotografiert und das Foto als Postkarte auf den Märkten verkauft. Im kongolesischen Kinshasa sind die „Leoparden“ heute ein Fußballverein.
Wildheit
Und die letzten wirklichen Leoparden? „Gesetzt den Fall“, schreibt die feministische US-Biologin Donna Haraway, „eine Wildkatze hinterlässt Junge, die von einem Haushalt, bestehend aus überqualifizierten, wissenschaftlich ausgebildeten Kriegsgegnern mittleren Alters aufgenommen werden oder von einer Tierwohlfahrtsorganisation, die eine Ideologie zum Schutz des Wilden und Tierrechte propagiert: Wird das Tier garantiert glücklich werden?“ „Die Wildheit bleibt doch laut Haraway unsere ganze Hoffnung“, meint Elisabeth von Samsonow über Haraways Buch „When Species Meet“ (2008). Aber auch die Wildheit will gelernt sein, im Falle des Leoparden von seiner Mutter. Aber wenn die nicht da ist und nur überqualifizierte, wissenschaftlich ausgebildete Kriegsgegner mittleren Alters, was dann? Dies war so bei einer Leopardin namens Penny, die das Ehepaar Joy und George Adamson in einem kenianischen Nationalpark aufzog: Penny sollte dort „ausgewildert“ werden.
Sie ermunterten die Leopardin, sich an Antilopen heranzupirschen, was sie auch tat, aber es kam Penny „lange nicht in den Sinn, sie zu jagen, geschweige denn zu töten“. Ihre junge Leopardin versuchte Joy Adamson vergeblich mit „knuffen und schubsen“ zur Jagd anzutreiben. Die dafür notwendigen Fertigkeiten erwarb Penny erst an Fröschen (wie die Kinder in der DDR im Biologieunterricht). Bei ihrem ersten richtigen „Riss“ tanzte sie noch um den Kadaver herum, was Joy Adamson „als Bitte deutete, ihr beim weiteren Öffnen der Bauchhöhle behilflich zu sein“, was sie dann auch war. Als aber Pennys „Interesse am Jagen wuchs, zeigte sie uns sehr deutlich, wie sehr ihr unsere Gespräche während der gemeinsamen Spaziergänge missfielen, da sie das Wild verscheuchten“.
Über Joy Adamsons erste erfolgreiche Auswilderung gibt es einen Spielfilm: „Frei geboren – Königin der Wildnis“ (1966). Dabei handelt es sich um die von ihr aufgezogene Löwin Elsa, über die sie drei Bücher veröffentlichte. Danach widmete sich Joy Adamson erst einer Gepardin namens Pippa und ihren Jungen, über die sie zwei Bücher schrieb, und dann einer Leopardin, über die sie ebenfalls ein Buch veröffentlichte: „Die Leopardin Penny. Geschichte einer afrikanischen Großkatze“. Bevor sie 1980 ein weiteres über Pennys Jungen schreiben konnte, wurde sie ermordet. Ihr Mann George versuchte unterdes Löwen im Rudel auszuwildern, damit sie sich leichter gegen die einheimischen Löwen im Schutzgebiet durchsetzen könnten. Er starb 1989 bei einem Einsatz gegen Wilderer. Seine Autobiografie „Meine Löwen. Mein Leben“ (1990) fasst beider Auswilderungsarbeit gut zusammen.
Auf dem bergigen Gemeindeland des Ortes Akole im indischen Bundesstaat Maharashtra leben rund ein Dutzend wilde Leoparden. Und die Bewohner wollen, dass das auch so bleibt. Manchmal reißt ein Leopard eine Katze oder einen Hund. Wenn eine Ziege gerissen wird, bekommt der Besitzer eine Kompensation. Die Times of India erwähnte bereits 2013: „Die meisten Leute wissen es nicht, aber eine neue Studie zeigt, dass eine große Zahl von Leoparden unerkannt in von Menschen dominierten Gegenden lebt.“
Etwa auch um Mumbai herum, wo inzwischen rund 40 Leoparden ihren Lebensraum haben. Nachts streifen sie durch die Stadt und jagen Straßenhunde, die sie fressen – etwa 1.500 im Jahr. Würden die Naturforscher auch dort noch behaupten: „Der Leopard ist perfekt an seine Umgebung angepasst“?
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