Die Wahrheit: Brille aus der Hölle
Im Katalog sieht das Ding eigentlich ganz harmlos aus. Doch im wirklichen Leben verbietet sich Toleranz gegenüber der asymmetrischen Sehhilfe.
G emeinhin sind Accessoires mir profund wumpe. Von Herzen egal ist mir, welche Klamotten farblich angeblich zu welchen anderen Klamotten passen, ob da nun „Camp David“ oder „Fred Perry“ draufsteht. Gleichgültig ist mir auch, anders übrigens als vielen Frauen selbst, ob Frauen „dasselbe Outfit“ an zwei oder auch 22 Tagen hintereinander anziehen. Ferner ist mir einerlei, ob Männer ihre Waden zeigen, ob Socken in Sandalen „gehen“ oder „gar nicht gehen“. Ich bin, kurzum, hinsichtlich alles Modischen mit einer maulwurfsgleichen Blindheit gesegnet.
Mit einer Ausnahme. Und das ist die asymmetrische Brille. Es ist die Brille aus der Hölle. Ist eine Fassung rund und die andere eckig, dann verliere ich die Fassung. Ich wäre lieber blind, als eine solche Brille zu tragen.
Im Katalog sieht das Ding eigentlich ganz harmlos aus, fast originell. In der freien Wildbahn verbietet sich auch nur der leiseste Anhauch der Toleranz gegenüber der asymmetrischen Brille. Der Grad meiner Abneigung ist so extrem, dass ich neulich schon kurz davor war, einer mir glücklicherweise wildfremden Dame – es sind immer Damen in der Menopause! – das Ding mit einer fließenden Bewegung aus dem Gesicht zu wischen. Spätestens hier gingen alle meine persönlichen Misogynie-Warnlampen an. Vermutlich hatten sie vorher einen Wackelkontakt.
Ich wurde also bei meiner inneren Therapeutin vorstellig, um dem Problem – das offenbar mein Problem ist – auf den Grund zu gehen. Ich lag alles andere als entspannt auf meiner inneren Couch und schimpfte auf Heikpraktikerinnen und Buchhändlerinnen, Sachbearbeiterinnen und Therapeutinnen, also die üblichen Trägerinnen der asymmetrischen Brille. Äußerst geduldig hörte meine innere Therapeutin zu, wie ich meine Brillentheorie ausbreitete.
Danach haben Brillen entweder unsichtbar oder erkennbar Brillen zu sein, bestenfalls klassisch, ohne Firlefanz und Farbenquatsch und elliptisch geschwungene Bügel. Keine Experimente im Gesicht!
„Die asymmetrische Brille“, redete ich mich in Rage, „macht den Menschen hinter seiner behaupteten Pfiffigkeit unkenntlich. Rechts sehe ich so aus, links so! Rechts bin ich eckig, links rund! Eckig, rund, eckig, rund, mal so, mal so! Wie eine Hütchenspielerin ihrer selbst, ich bin einfach nicht zu fassen! Wie Thomas Crown, wenn er als Frau in der Zulassungsstelle arbeitete, in Wahrheit aber viel lieber als Leiterin eines Porzellanpuppenmuseums in Wuppertal lebte, die Poetry-Slam und Ludovico Einaudi und Usedom ‚ganz entzüüüückend‘ findet, seit Ewigkeiten die taz abonniert hat und …“ so weiter und so fort.
Es musste alles raus, und danach wurde mir endlich alles klar. Ich brauche eine neue Brille, und bin einfach sehr, sehr unsicher, für welches Modell ich mich entscheiden soll. Rund oder eckig?
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