Die Wahrheit: Tanz der Zündler und Senger
Betrachtet man das Streichhölzchen unter dem Brennglas der Geschichte, muss man sich vor glühend heißer Asche in der Hosentasche hüten.
Wie der Zufall es so will, fand ausgerechnet ein Hamburger mit dem Namen Brandt den wichtigsten Brandbeschleuniger der Neuzeit. Der umtriebige Alchemist wollte 1669 aus Pisse Gold herstellen und fand beim „Aufarbeiten von Harn“ (Wikipedia) eine weiße Masse, die leuchtete. Phosphorisieren hätte man dazu auch sagen können, Brandt hatte nämlich weißen Phosphor hergestellt.
Damit war der erste Schritt zum Zündhölzchen getan, aber bis zum ersten funktionierenden Sicherheitszündholz von Gustav Erik Pasch 1844 war noch eine schmerzhafte Zeit der unvorhergesehenen Selbstentzündungen durchzustehen. Erst als ein gewisser John Walker ein Streichholz mit Reibungszündung auf den Markt brachte, wurde die Angelegenheit sicherer, denn das Zündhölzchen entzündete sich erst durch das Reiben an Sandpapier. Was den notorischen amerikanischen Whisky-Brenner John Walker aber erst richtig bekannt machte, war sein Feuerwasser.
Phosphor für die Problemzone
Sein Streichholzprodukt nannte Walker ahnungsvoll „Lucifer“, als hätte er die unheilvolle Kundschaft der Zündler und Pyromanen vorausgesehen. Bis der Schwede Pasch das erste Sicherheitszündholz erfand, sollte es erst mal unzählige angebrannte Hosentaschen geben in der Männerwelt, denn der zunächst verwendete weiße Phosphor von Herrn Zündel-Brandt neigte zur Selbstentzündung. Zudem wurde die Hosentasche unseligerweise zur gleichen Zeit wie der Phosphor erfunden und war deshalb Ort für mancherlei empfindliche Verbrennung in der männlichen Problemzone. Die Frauen trugen damals Röcke und beschäftigten sich mit wichtigeren Dingen als mit Zündhölzchen.
Das sollte sich jedoch bald ändern, so berichtet „Meyers Lexikon“ 1874 erschrocken von der „krankhaften Seelenstimmung von Individuen weiblichen Geschlechts“, die damals Feuerlust oder Pyromanie genannt wurde. Mit anderen Worten, Frauen „zur Zeit der beginnenden Geschlechtsreife“ galten damals als die gefährlichsten Brandleger überhaupt. Die Feuerteufel beiderlei Geschlechts nannte man zu der Zeit noch Mordbrenner, heute benutzt man die euphemistische Bezeichnung „Brandstifter“, als ob so ein Brand ein Geschenk wäre!
Heutzutage hört man dagegen nie von Pyromaninnen, die heutigen Mordbrenner scheinen allesamt männlich zu sein und gern bei der freiwilligen Feuerwehr mitzuhelfen. Das glaubt man zumindest, seriöse Feuerwehrstatistiker sprechen allerdings davon, dass lediglich 0,3 Prozent aller Brandstifter bei der Feuerwehr arbeiten. Und aufgemerkt, die Aufklärungsquote bei Seriensengern liegt bei über 90 Prozent! Das älteste römische Recht bestrafte übrigens überführte Mordbrenner konsequent mit dem Feuertod.
Erfülltes Leben im Holzstädtchen
Was kaum je zur Sprache kommt, ist, dass der berüchtigte und als „Vampir von Düsseldorf“ bekannt gewordene Serienmörder Peter Kürten neben seinen 18 Morden auch 31 Brandstiftungen auf dem Kerbholz hatte.
Doch es gibt auch Zündholz-Afficionados, die ihre Obsessionen konstruktiv ausleben: „Sie basteln und kleben, sie werkeln und sägen Tag und Nacht!“, wie es in dem Buch „Mein Bastelfreund“ mit rhythmischer Eleganz heißt. Die Ergebnisse sind dann Achterbahnen, Mähdrescher, Riesenräder und filigrane Eiffeltürme aus abertausenden Streichhölzern. 5.000 Hölzchen sollten es für den richtigen Bastler dabei schon sein.
Die Hölzchenverbastler wohnen gewöhnlich in kleinen Städten wie Holzminden, sind alleinklebend und männlich. Und dann gibt es noch Maniacs, die das Konstruktive und das Destruktive auf das Schönste verbinden: Sie kleben erst ganze Holzstädtchen aus Streichhölzern zusammen und fackeln das gesamte Ensemble spektakulär wieder ab! Das ganze Ereignis wird selbstverständlich gefilmt und bei Youtube eingestellt. Oder bei Youburn!
Wie viel erfüllter hätte das Leben des sengenden Düsseldorfer Serientäters Kürten verlaufen können, wenn er all unsere heutigen Möglichkeiten damals schon gehabt hätte! Seinem Meisterwerk im Netz hätte er sicher den brandheißen Titel gegeben: „Tanz der Feuervampire“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland