Die Wahrheit: Viel Kutter bei die Fische!
Hohoho: Die abtrünnige Insel und das froschige Festland lassen untergegangene Zeiten wieder aufleben. Dank dem Fisch.
Dann sollen sie eben Hummer essen“, pflegt die französische Meeresfrüchteministerin Annick Girardin ungerührt auf die Beschwerden der Briten zu entgegnen. Die bemängeln schon seit Monaten, dass Kutter vom fränkischen Festland ohne Genehmigung den leckeren Speisefisch aus den Gewässern vor den britischen Kanalinseln wie Jersey, Guernsey und Sark herausangeln, während britischen Konsumenten bloß ekliges Glibberzeug wie Jakobsmuscheln und Austern bleibt.
Oder eben Hummer, doch auch der ist rar geworden in der Nordsee. Außerdem gilt er im Vereinigten Königreich als ungenießbar, da sich das standesbewusste Krustentier mit Scheren und Klauen wehrt, im Backteig frittiert und mit einer Handvoll matschiger Fritten in einer Tüte aus Zeitungspapier zu enden. Lieber greift man in den Fish-and-Chips-Buden der englischen Badeorte auf angespülte Autoreifen und anderes Strandgut zurück, um die leeren Friteusen zu füllen.
Denn seit die Briten der Europäischen Union den Rücken gekehrt haben, tobt ein heftiger Streit um die Fischereirechte in den Grenzgewässern. Eigentlich hatte das UK zugesagt, französischen Booten weiterhin Lizenzen für die Küstenfischerei vor ihren insularen Krongebieten im Ärmelkanal zu vergeben, doch in der Praxis erteilen die britischen Behörden den Festlandsfischern entweder gar keine Genehmigungen oder bloß welche zum Herausfischen von Plastiktüten, Quallen, havarierten Überseecontainern oder Migranten. Der vom ewigen Mistral ohnehin auf Krawall gebürstete Franzmann zürnt deswegen der britischen Schleppnetzbürokratie und steuert sein Bateau auch mal erlaubnisfrei in britische Gefilde.
Kriegsfische im Konflikt
Im Mai diesen Jahres war der zutiefst fischige Konflikt schon einmal eskaliert, als französische Seeleute den Hafen Saint Helier auf der Kanalinsel Jersey zu blockieren drohten. Die Briten schickten prompt Kriegsschiffe nach den umstrittenen Inseln, die aus alter Gewohnheit jedoch die Falklands ansteuerten und das Archipel gleich noch einmal befreiten – diesmal ärgerlicherweise von britischer Oberhoheit. Die Franzosen setzten daraufhin ihre eigene Marine in Alarmbereitschaft, bis der UN-Sicherheitsrat intervenierte. „Die Mobilmachung von Madame Le Pen ist unverhältnismäßig, nur mäßig lustig und widerspricht allen Regeln der christlichen wie atheistischen Seefahrt“, urteilten damals China, Russland und die USA in seltener Eintracht.
Die Rassemblement-Vorsitzende drehte bei und schwamm in stabiler Rückenlage zurück in französische Hoheitsgewässer, Jersey konnte aufatmen. Doch der Popularität der seefesten Nationalistin tat das kriegerische Bad in der Nordsee keinen Abbruch. Seither steht Präsident Macron gastronomisch unter Fischzugzwang. Der passionierte Nichtschwimmer muss liefern – und zwar die ganz große Platte mit Meeresfrüchten und Coquillage. Bislang setzt der Gelegenheitspazifist auf Verhandlungslösungen mit den Harpunier- und Angelsachsen, aber spätestens wenn zur Weihnacht in Paris die Austern knapp werden, kann auch der privat eher gemäßigte Fischesser für nichts mehr garantieren.
Doch auch Großbritannien rasselt mit dem Fischbesteck, im ganzen Land liegen die Gräten blank. „How much is the fish?“, fragte Premierminister Boris Johnson ungläubig, als er unlängst in einer durchgentrifizierten Londoner Fischklitsche erheblich zur Kasse gebeten wurde. Natürlich warf der gewiefte Brexitkapitän dem altbösen Erzfeind EU daraufhin Preistreiberei, Piraterie und Perfidie vor. Brüssel reagierte umgehend mit der Einsetzung von Arbeitsgruppen und Unterausschüssen – im Grunde eine Kriegserklärung, die im Austausch diplomatischer Noten oder Kochrezepten eskalieren könnte. Stimmen der Mäßigung bleiben auf beiden Seiten des Ärmelkanals so selten wie ein annehmbares Fischrestaurant im Binnenland.
Heilbuttbad im Seebad am See
„Kulinarisch ist das natürlich ein Fortschritt“, gibt immerhin der britische Gastronomiekritiker Steve Hobnobb zu, als er im englischen Seebad Seabath-on-Sea höchst heftig auf einem Stück Autoreifen im Backteig kaut. „Aber unsere patriotische Pflicht als Bürger einer wahrhaft souveränen Nation verlangt es, den Froschfressern keine, aber auch keine einzige Scholle, keinen Hering und keinen Kabeljau im Ärmelkanal zu lassen. Wenn es die Franzosen abfuckt, würde ich sogar Austern runterwürgen. Hauptsache, sie sind frittiert und in brauner Soße ertränkt.“
Solche Aussagen stoßen in Frankreich natürlich auf Kritik und Ablehnung, vor allem aber auf blanken Hass. Mit einer neuen Gelbwestenbewegung, benannt diesmal nach den kanariengelben Schwimmwesten der Kanalfischer, ist im Land der fußballfeldgroßen Fruits-de-mer-Vorspeisen eine breite Protestbewegung entstanden, die sich unter dem Schlachtruf „Pas une seule sardine“ mit Eimern, Keschern und Sieben bewaffnet in den Kanal stürzt, um den angeblich frankophonen Edelfisch vor einem schmählichen Ende in englischen Töpfen zu bewahren.
Fünf Fische for Future
Ähnlich wie die italienische „Fünf-Sterne-Bewegung“, die den Besuch besonders gut bewerteter Trattorias an den Besitz der italienische Staatsbürgerschaft koppeln will, stellen auch die Gelbwesten eine populistische Bewegungen dar, die an die Überlegenheit der eigenen, autochthonen Küche glaubt. Für Macron könnten die Protestfischer zu einem ernsthaften politischen Problem werden. Im April steht er zur Präsidentschaftswahl selbst auf dem Menü, und die heiße Wahlkampfzeit fällt ausgerechnet in die fischwichtigen Monate mit R.
Eine Lösung könnte eine Initiative aufzeigen, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zusammen mit dem Fischereimuseum Brighton und der Fischabteilung des Pariser Großmarkts Rungis bei einem gemeinsamen Austernbankett erarbeitet hat. In einem einzigartigen Referendum sollen sich sämtliche Meeresbewohner zwischen Calais und Plymouth für eine Landesküche entscheiden, der sie im Falle ihres unfreiwilligen Anlandens zugeführt werden wollen. Sogar die eigenen Beilagen können die Fische auswählen.
Umstritten war bislang, ob die Abstimmung mit französischen oder britischen Trawlern durchgeführt werden sollte. Mit der Hochseeflotte der erfahrenen Fischfangnation China hat sich nun jedoch eine neutrale Instanz mit ausreichender Boots- und Mannschaftsstärke gefunden. Schon am kommenden Sonntag soll der auf etliche Millionen Bruttoregistertonnen geschätzte Souverän in einem nordseeweiten Fischreferendum in die Wahlreusen gerufen werden, um die Frage nach der nationalen Zugehörigkeit final zu beantworten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker