Die Wahrheit: Quietschende Quatschhaftigkeiten
Die deutsche Mannschaft schied jüngst aus dem EM-Turnier. Und die „Nürnberger Nachrichten“ scheiden weiter Artikel aus.
Wenn ich in Mittelfranken weile, zählt die morgendliche Lektüre der Nürnberger Nachrichten zu meinen nicht wenigen erquickenden täglichen Ritualen. Ja, das Studium dieses schon vor seiner Entsorgung gründlich verrotteten Papierhaufens ist ein steter Quell des Vergnügens und der lodernden Heiterkeit.
Die Nürnberger Nachrichten sind keine unbedeutende Regionalgazette. Bei einer Auflage von noch immer deutlich über zweihunderttausend Exemplaren versteht der Monopolist seine Aufgabe, in ausgedehnten Landstrichen das Urteilsvermögen und das Restbewusstsein der Inhabitanten nach Kräften weiter abzusenken und zu vernebeln, derart eindrucksvoll zu erfüllen, dass Vordenkerorgane wie die Süddeutsche und der Spiegel alt aussehen.
Karl Kraus hätte am Fachblatt für Grundeselei, Stilinsuffizienz, Fehler-Superspreading, Kulturlosigkeit und Journalismusvermeidung seine Freude gehabt. Verschwiegen wird, was ist, gedruckt wird, was eine erlesene Schar von Redakteursdarstellern in der morgendlichen Konferenz zur maßgeblichen Meinung erkiest.
Heraus kommen Seiten voller Sätze, in denen nichts zur Darstellung gelangt und die ausschließlich mit sich selber reden, sofern sie nicht die Verlautbarungen der Bayerischen Staatskanzlei (Söder) durchreichen. Diese Form des Wahnsinns oder, wie man will, der höheren Komik erspart einem die Beschäftigung mit der Wirklichkeit, und eine solche Art der Entlastung darf ja als konstitutiv für unsere strahlende Gegenwart gelten.
Zwerchfell- und Schreikrämpfe
Zwei Tage nach dem Untergang Deutschlands auf dem Schlachtfeld im Wembley-Stadion, am 1. Juli, übertrafen sich die Nürnberger Lachnachrichten allerdings tatsächlich noch einmal selbst. Ich – immerhin über Jahre gestählter Exeget – bekam abwechselnd Zwerchfell- und Schreikrämpfe.
Da rumpelte ein Sebastian Böhm die gesamte Seite drei mit einem grotesken, durch läppische impressionistische Einsprengsel gepimpten Pseudoporträt über Joachim Löw voll („Neben ihm [Ed Sheeran] sah der 46 Jahre alte David Beckham auch weiterhin unverschämt gut aus, füreinander schienen sich die Superstars aber kaum zu interessieren“), in dem tadelnd vermerkt ward, „in Deutschland“ sei nun die Zeit „der konstruierten Querverweise und der kruden Vergleiche angebrochen“. Und links gegenüber, auf der Seite zwei, mährte sich einer der zwei Chefredakteure der Nürnberger Helaunachrichten, Alexander Jungkunz, über „die erschöpfte Republik“ aus.
Alexander Jungkunz ist ein Prototyp des deutschen Journalismus – unfähig, einen halbwegs komplexen Satz zu schreiben (daher seine faule Liebe zu Bild-affinen Ellipsen), aber nach jedem Sonnenaufgang eine „Ansicht“ zu was auch immer – zum Hunger in der Welt, zum Russen, zur Spurrillenbreite von Autoreifen. Und also sprach Jungkunz: „Sie verstehen sich gut und schätzen sich: Angela Merkel und Joachim Löw. Die Bundeskanzlerin und der Bundestrainer.“ Die Bundeskanzlerin und der Bundestrainer. Hätten wir nicht gewusst. Das ebenso wenig: „Der Ex-Bundestrainer. Und bald auch die Ex-Kanzlerin.“ Punkt. Und Punkt. Aaaah! Erkenntnis!
Luft holen, sich sammeln – und weiter: „2005 kam Merkel auf den Chefposten, 2006 Löw. Nun endet ihre Amtszeit fast zeitgleich. Ein Zufall? Sicherlich.“ Zwinker, zwinker, denn: „Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele Ähnlichkeiten es zwischen beiden gibt. Und zwischen den Ergebnissen ihrer Arbeit.“
Jungkunz hätte auch „Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele Ähnlichkeiten es zwischen beiden und den Ergebnissen ihrer Arbeit gibt“ hintippen können, doch wir wollen ihn und die mittelfränkischen Kohlrabiköpfe nicht überfordern. Ohnehin ist es dem Nürnberger Chefkarnevalisten um konstruierte Querverweise und krude Vergleiche zu tun, zu denen ihn Norbert Seitz’ Analogiegekäse aus den achtziger Jahren inspiriert haben dürfte (Willy Brandt = Günter Netzer, Helmut Kohl = Hans-Peter Briegel).
Schwungvoll und gewitzt
Darob führt er nun, schwungvoll und gewitzt wie eine mittelfränkische Maisackerfurche, aus: „Deutschland hat einen guten Ruf. Als Nation – und als Fußballnation. Aber ist dieser Ruf noch berechtigt? Das ‚Aus‘“ – ein unlösbares Rätsel: warum das „Aus“ in An- und Abführungszeichen steht –, „das ‚Aus‘ für die Nationalmannschaft belegt das Gegenteil. Das Team spielte nicht gut, auch wenn der TV-Reporter die Leistung aufhübschte.“
Machte er nicht. Florian Naß kommentierte souverän und kenntnisreich, was auf dem Rasen geschah. Das ficht den Nürnberger Obernarren nicht an. Einmal Analogie, immer Analogie: „Dieses Aufhübschen geschieht oft auch mit Blick aufs Land … Schlechte und veraltete Ausrüstung, viel zu wenig Digitalisierung … Wir sind nett und freundlich, aber wir schwächeln … Das deutsche Spiel war vorsichtig und berechenbar. Zu wenig Mut, Gier, Leidenschaft, Risikobereitschaft. Ist es völlig daneben zu sagen, dass dies auch fürs Land gilt? Es fehlen Ziele, Ideen, Visionen. Die Lust, vorne zu stehen.“
Hätten Timo Werner, Kai Havertz und Thomas Müller ihre Riesenchancen gegen die keineswegs viel mehr digitalisierten englischen Fußballspieler genutzt, was hätte dann in den Nürnberger Nullrichten gestanden? Sicher nicht das, was Dietrich Schulze-Marmeling am Morgen danach wohltuend unterkühlt in der Sendung „Vor Ort“ auf Phoenix sagte: „Ein Turnier ist ein Turnier … Es war einfach ein ganz normales Fußballturnierspiel.“
Ist es völlig daneben zu sagen, dass man die Vision der Einstellung der Nürnberger Nachrichten für eine schöne hält – trotz des Verlustes der Jungkunz’schen und sonstigen quietschenden Quatschhaftigkeiten?
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