Die Wahrheit: Das Dorf, das nicht existiert

Wie soll es heißen: Enniscrone oder Inishcrone? Oder sogar „Inis Eiscir Abhainn“? Und es geht dabei nicht um ein Spülmittel.

Es gibt Wichtigeres als das Coronavirus. In der Grafschaft Sligo im Nordwesten Irlands streiten die 829 Bewohner um den Namen ihres kleinen Ortes: Enniscrone oder Inishcrone? Darüber soll jetzt ein Referendum entscheiden.

Die meisten kennen den Ort als Enniscrone, und dieser Name steht auch an der Schule, aber offiziell heißt das Kaff Inish­crone. So ist es auch auf den Orts­eingangsschildern, über dem Postamt, dem Polizeirevier und der Ortsverwaltung zu lesen. Gibt man auf der Webseite des zuständigen Kulturministeriums „Enniscrone“ in die Suchmaske ein, erhält man deshalb keinen Treffer.

Aber die Sache ist noch komplizierter, denn auch im irischen Gälisch gibt es zwei unterschiedliche Namen. Die Einwohner nennen den Ort Inis Eiscir Abhainn, was „Insel auf der Sandbank im Fluss“ bedeutet, während er offiziell Inis Crabhann heißt – also „Wallberg im Fluss“. Austin Tuffy von der Ortsverwaltung meint, man wolle endlich das verwirrende Durcheinander beenden.

Seit das Fremdenverkehrsamt 2014 den Wild Atlantic Way erfunden hat, der Touristen auf einer 2.500 Kilometer langen Strecke die gesamte Atlantikküste entlangführen soll, befürchten die Bewohner, dass man ihren Ort nicht finden könne, weil Enniscrone in Suchmaschinen und Navigationsgeräten nicht existiere. „Gibt man den Namen in die Suchmaske ein“, sagt Tuffy, „schickt einen das Gerät nach Ohio oder in eine Pension an der irischen Ostküste.“

007 jagt Dr. Ringel im Algenbad

Dabei gibt es in Enniscrone Algenbäder, denen auch Seán Connery einen Besuch abgestattet hat. Michael Ringel, der Redakteur der Wahrheit, und ich waren vor einigen Jahren auch einmal dort. Wir hatten den Ort auf Anhieb gefunden, aber wir hatten ja auch kein Navigationsgerät. Das Algenbad gibt es seit 1912.

Wenn man in der wuchtigen Wanne aus zwölf Zentimeter dickem Porzellan liegt, bedeckt von Meeresalgen, fühlt man sich schwerelos und vergisst den Alltag. Man betrachtet träge die Umgebung – zum Beispiel Herrn Ringel, der in einem Holzkasten steckte. Oben ragte sein knallroter Kopf heraus, denn in das sargähnliche Möbel strömte heißer Dampf, um die Poren vor dem Sprung in die Wanne zu öffnen.

Damals hieß der Ort Enniscrone. Im September stimmen die Einwohner ab, ob es dabei bleibt. Warum eigentlich? Überall im Land stehen unterschiedliche Namen auf den Ortsschildern. Weil die englischen Besatzer mit den irischen Namen nichts anfangen konnten, gaben sie ihnen englische Namen. Die Iren rächten sich dafür. So findet man auf vielen Hinweisschildern unterschiedliche Schreibweisen für kleinere Städte und Dörfer, um die englischen Besucher mit ihren Navigationsgeräten zu verwirren.

Entscheiden sich die Leute für Enniscrone, müssen 46 offizielle Schilder ausgetauscht werden. Das kostet 25.000 Euro. Aber wenigstens können selbst englische Touristen den Ort dann finden. Falls es irgendwann wieder Touristen gibt.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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