Die Wahrheit: Reiz für Risikotouristen
Neues aus Neuseeland: Da hingehen, wo es wehtut? Das machen viele Reisende down under und begeben sich gedankenlos in Gefahr.
D er Sommer begann im Dezember mit einer Katastrophe: 21 Touristen starben bei dem Vulkanausbruch auf Whakaari (White Island). 26 wurden schwer verletzt, auch Deutsche. Manche von ihnen kämpfen nach etlichen Hauttransplantationen und inneren Verätzungen noch immer ums Überleben. Im Ascheregen befanden sich toxische Chemikalien, die zu seltenen Infektionen führen.
Giftig waren auch die Diskussionen, die danach auf hohem Niveau ausbrachen: Wieso durfte die eruptive Insel überhaupt von kommerziellen Reisegruppen besucht werden? Immerhin war das Risiko eines Vulkanausbruchs dort so hoch, dass sich ein renommierter amerikanischer Vulkanologe aus Protest nicht dorthin begeben wollte. Ging den Veranstaltern Geld über Sicherheit?
Das kleine Küstenkaff Whakatane lebt von all den Abenteuerlustigen und Kreuzfahrtpassagieren, die mit dem Boot nach Whakaari übersetzen, dort Gasmasken aufziehen und auch ganz ohne Vulkanausbruch ständig Gefahr laufen, bei einem Fehltritt auf den felsigen Pfaden in einem brodelnden Säuretümpel zu landen. Genau das macht den Reiz aus. Sonst könnte man ja einfach nur YouTube-Videos schauen.
Auch der Tunnel Beach in Dunedin auf der Südinsel mit seinen windgepeitschten Klippen über dem Meer zieht Risikosuchende an. Ein Tunnel aus dem Jahr 1870 führt zu dem einsamen Strand. 2018 brach sich eine deutsche Backpackerin dort ihr Bein, als sie vom Fels abrutschte und um ein Haar 20 Meter in die Tiefe gestürzt wäre. Ihre Rettung war dramatisch bis spektakulär. Da es zu windig für einen Rettungshubschrauber war, mussten sie ein Dutzend Feuerwehrleute bergen.
Einen Monat später wurde am Tunnel Beach eine 120 Meter lange Absperrung gebaut – zusätzlich zu dem bereits vorhandenen Zaun –, um solche Turnereien in Zukunft zu verhindern. Elf neue Schilder wurden angebracht, die vor leichtsinniger Kletterei und Abstürzen warnen. Und was ist seitdem passiert? Genau. Nach der zweitsteilsten Straße der Welt, ebenfalls in Dunedin, sind gewagte Posen auf den abgesperrten Felsen das Instagram-Motiv schlechthin.
Hunderte von Selfies tauchen dort auf: Yoga-Posen, Verrenkungen – selbst ein Handstand an der Stelle, wo die Rucksackreisende im Vorsommer fast zu Tode stürzte. Was kann man daraus für Whakaari lernen, jene auf unbestimmte Zeit gesperrte Vulkaninsel, die zwei der Leichen noch immer nicht frei gegeben hat? Dass Verbote in solchen Fällen selten helfen und unvorhersehbare Risiken in der Natur überall lauern.
Aber vielleicht sollte man all jene, die sich lieber auf eigene Faust und ohne Veranstalter in Gefahr begeben, vorher verpflichten, die Rettungsmannschaften danach aus eigener Tasche zu bezahlen. Vielleicht lässt sich das auch kommerziell als Allroundpaket anbieten: Billigversion mit Go-Pro-Kamera, Luxusvariante mit Fotografen. Insta-Story inklusive.
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