Die Wahrheit: Katastrophenkarikatur
Neues aus Neuseeland: Die Südsee wird immer wieder von Katastrophen heimgesucht. Offene Vulkane, ausbrechende Kinderkrankheiten und anderes.
B ald ist Weihnachten. Die Natur beschenkt uns reich mit Grillwetter und roten Pohutukawa. Allerdings braucht es keine Ausbrüche mehr! Über ein Dutzend Tote gab es am Dienstag, als der Vulkan Whaakari auf White Island ausbrach und 47 Touristen unter heißer Asche begrub, auch vier Deutsche. Nach der langen weißen Wolke, die immer über dem dampfenden Krater hängt, hatte einst Entdecker James Cook Aotearoa benannt. Jetzt hat sie einen Trauerflor.
In den Wochen davor brachen in Samoa die Masern aus: Seit gestern sind es 71 Tote, davon 61 Kleinkinder – in einem ärmlichen Land, in dem weniger als 200.000 Menschen leben. Es ist jedoch keine Naturkatastrophe, sondern eine Dummheitsplage. Die Epidemie begann, als zwei Babys nach einer Impfung starben. Weder Serum noch Impfreaktion waren schuld, sondern ein Fehler: Man hatte ihnen auch ein muskelentspannendes Anästhetikum gespritzt.
Solche Fakten sind jedoch für die „Anti-Vaxxer“ Nebensache, egal wo. In Neuseeland ballen sie sich in Öko-Enklaven wie Golden Bay und im hohen Norden, ein sozial schwaches Maori-Gebiet. Auch an der Westküste bei den Mitgliedern der Christensekte Gloriavale kommen Impfungen vom Teufel. Im streng christlichen Polynesien, wo die Impfrate eh schon niedrig und die Krankheit eingeschleppt ist, waren die zwei toten Babys Wasser auf die Gebetsmühlen.
Edwin Tamasese, traditioneller samoanischer Heiler, fachte mit den angeblichen Todesspritzen auf Social Media eine Anti-Impf-Kampagne an. Er behauptete, er könne Masern mit Vitaminen und Handauflegen heilen. Als die Regierung endlich flächendeckende Impfungen einführte, warnte er: „Viel Spaß bei eurem Amoklauf!“ Jetzt wurde Tamasese wegen Aufhetzung verhaftet. Er darf vorerst keine Zaubersprüche mehr klopfen.
Exit für Tremain
Während samoanische Kinder in der Klinik ums Überleben kämpfen und der Südseestaat trauert, wurde einem anderen Trottel mit zu großer Reichweite vorige Woche das Handwerk gelegt: Garrick Tremain, altgedienter Karikaturist der Otago Daily Times in Dunedin, mit Betonung auf „alt“. Und weiß. Schon vor sechs Jahren gab es Beschwerden über eine rassistisch anmutende Zeichnung von ihm. Damals fühlte er sich als Opfer der „Märtyrer für Political Correctness“. Gemeint waren Maori.
Tremains letzte Karikatur zeigte zwei Frauen, die aus einem Reisebüro kommen und sich darüber unterhalten, welche „Spots“ (Orte) denn gerade die unbeliebtesten seien. „Die Spots (Punkte oder Pocken), die man sich in Samoa einfängt“, gibt eine grinsend als Antwort. Wäre der Mann genauso flapsig mit dem Tod von neuseeländischen Kindern umgegangen?
Die Zeitung musste sich auf der Titelseite entschuldigen. Garrick Tremain wurde vorerst kaltgestellt. Das Land der langen weißen Vulkanwolke hat gerade andere Sorgen, aber noch keine Karikatur zur eigenen Katastrophe. Vielleicht zeichnet sie jemand in Samoa?
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