Die Wahrheit: Google dein perverses Selbst
Was der Algorithmus mit deiner bedauernswerten Persönlichkeit so alles anstellen kann. Ein Psychogramm aus den eigenen Innereien.
Einer der unangenehmen Nebeneffekte unseres digitalen Zeitalters ist es, dass durch omnipräsente Algorithmen ständig lästige Fremdeinschätzungen drohen. Als Person, die Angst vor dem eigenen Inneren und seinen abartigen Motiven hat, wird man dauernd von digitalen Psychoanalytikern belauert.
Das führt zu Druck. Die bestimmt nett gemeinten Hilfestellungen von Google haben die Angewohnheit, plötzlich in Selbsterkenntnis zu kippen. Da scrollt man sich gerade noch gut gelaunt durch die harmlose YouTube-Mischung aus DAZN-Zusammenfassungen, alten Talking-Heads-Videos und Arte-Dokus – bricht dann aber verdutzt ab oder zusammen angesichts eines Livestreams mit sich zerfleischenden Wildtieren oder romantisch verträumten IS-Kämpfern. Wie kommt das da hin? Warum wird einem ausgerechnet dieser Clip angezeigt? Ergibt sich das tatsächlich aus dem persönlichen Suchraster? Bin ich wirklich der Widerling, für den mich das Internet hält?
Es ist ein bisschen so, als wenn die Königin aus „Schneewittchen“ ihr Spieglein fragt: „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“, und daraufhin die Antwort bekommt: „Weiß ich nicht, aber auf keinen Fall du! Dich sehe ich eher als einen durch soziale Isolation radikalisierten Menschenhasser, der nur noch bei Gewalt Freude empfinden kann. Aber wo wir schon mal dabei sind: Bock, die YouTube-Kids-App zu testen?“
Sofort stellen sich existenziell-unangenehme Fragen: Google ich wie ein Perverser? Bin ich am Ende zu recht beunruhigt? Anstatt sich die Zeit mit Videos zu vertreiben und dabei glückselig auf der schönen Welle der Selbstvergessenheit zu surfen, gleicht man panisch jede von Google nahegelegte Vorliebe mit seinen bisherigen ab.
Autoaggressive Selbstzweifel
Natürlich gäbe es die Möglichkeit, statt autoaggressivem Selbstzweifel anheim zu fallen, sein Bild von ISIS-Kämpfern oder passionierten Tierquälern zu überprüfen. Wieso sollten sich Glaubenskrieger nicht auch für Art-Pop aus den achtziger Jahren und Dokumentationen über traditionelles französisches Käserei-Handwerk interessieren? Oder liegt der Grund für die Einschätzung des Algorithmus tatsächlich darin, dass all der gespeicherte Ekel die Tiefen des eigenen Ichs, mithin dem wahren Selbst entspricht?
Zwar gab es auch schon vor dem digitalen Zeitalter Persönlichkeitsanalysen – durchgeführt von Nachbarn, die erst in deinem Hausmüll herumwühlten, um dann in der Gegend zu verbreiten, was für ein Schmutzfink du doch eigentlich bist. Oder wenn Freunde einen auf die Verfehlungen der letzten Nacht ansprachen. Alles unangenehme Momente. Aber das Analoge hatte Vorteile: Es hatte nie diesen Umfang. Andererseits hat Google den Vorteil, einem keine verachtenden Blicke zuzuwerfen – egal, wie oft du dir hintereinander den Götze-WM-Siegtreffer anguckst.
Konservative Vorstellung von Drogendealern
Was das betrifft, ist so ein Algorithmus beinahe etwas überengagiert. Du hast dir in einem schwachen Moment ein Video von „Verstehen Sie Spaß?“ angeguckt? Sofort bietet er dir ein Katzenvideo mit Guido Cantz oder irgendetwas mit Oliver Pocher an. Der Algorithmus ist wie die CDU-Wähler-Vorstellung von Drogendealern: Du hast dir Gras angesehen, also möchtest du bestimmt auch Heroin, scharfe Messer und Schusswaffen angucken!
Ansonsten überwiegen die Nachteile. Die Einschätzungen des Algorithmus lassen sich zum Beispiel nicht einfach zurückweisen. Freunde darf man als selbstgefällige Dummköpfe beschimpfen, beim Internet ist das schon schwieriger. Google zu widersprechen, ist so, als wenn man mit Fahrkartenkontrolleuren zu diskutieren anfängt. Alles perlt am Gegenüber ab, während man sich nur immer weiter erniedrigt, ohne damit etwas am Ergebnis zu ändern. Und für wen hält man sich eigentlich, dass man glaubt, irgendetwas besser zu wissen als die allwissende Suchmaschine höchstselbst?
So bleibt einem letztlich nichts anderes übrig, als das Bild, das Google von einem hat, anzunehmen. Zwar ist es etwas unangenehm, wenn ausgerechnet Google über den Schlüssel zu deinem Wesen verfügt. Aber zumindest ist Google höflich genug, dir nicht direkt damit auf die Nerven zu gehen. Es versucht am Ende doch nur, bessere Werbung für dich zu schalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag