Die Wahrheit: Fest der fliegenden Windeln
Das Massenbuhen beim Wahrheitklubtreffen auf der Frankfurter Buchmesse 2019 ließ harte norwegische Hörnerhelme erzittern.
Die folgende Klubmitteilung des Wahrheitklubvorstands darf nur von Vollmitgliedern gelesen werden. Nichtmitgliedern ist es streng untersagt, den Textinhalt zur Kenntnis zu nehmen.
Frankfurt am Main. Samstag. 14 Uhr. Halle 4.1. Lesebühne neben dem taz-Stand. Tag der Gangschleicher und Tütenschlepper. Gerade war das alljährliche Wahrheitklubtreffen auf der Frankfurter Buchmesse ordnungsgemäß eröffnet und die Anwesenheit des Wahrheitklub-Vorstandsvorsitzenden ©Tom, des Exekutivvorstands Michael Ringel, des Exekutivorgans Harriet Wolff und des LAMINATORS verkündet worden, da musste der strenge Zeremonienmeister Ringel auch schon die Prozedur unterbrechen. Die in Massen zum taz-Stand geströmten Wahrheitklubmitglieder hatten den LAMINATOR nicht angeaaaht! Jedes Jahr dasselbe!
Dabei gibt es doch nur zwei Gesetze beim Wahrheitklubtreffen: Der für die Klubausweise zuständige LAMINATOR muss mit einem durchdringenden „Aaaaaah“ begrüßt werden, und später müssen die Jieper-Preis-Gewinner unfassbar laut ausgebuht werden. Im Wahrheitklub ist eben vieles anders und manches verkehrt herum.
Als das geklärt war, konnte der Vorstand, der eigens für das Gastland Norwegen unter schicken Hörnerhelmen angetreten war, endlich die Klubnachrichten verkünden: Der Wahrheit-Fotograf Burghard Mannhöfer feierte seinen Geburtstag, brav ehrte ihn das Publikum mit einem „Happy-Birthday“-Ständchen. Danach wurde dem „Prospect“ Reinhard Bergmann sein Wahrheitklub-Pin verliehen, sodass er fortan Vollmitglied mit der Nummer 33333 ist. Denn der Wahrheitklub ist ähnlich organisiert wie die Hells Angels, auch wenn seine Mitglieder weniger morden. Man kann dem Wahrheitklub nur beitreten, wenn es einen Todesfall gibt und ein Platz für einen Nachrücker frei wird. Aber bitte, töten Sie niemanden, um Wahrheitklub-Mitglied zu werden!
Punkt zwei der Tagesordnung galt dem legendären Jieper-Preis. Dabei muss wie jedes Jahr ein Nonsenssatz in einer Publikation untergebracht werden. Der erste Satz vor zwanzig Jahren hieß: „Wer Jieper hat, muss schmackofatzen.“ Deshalb der Name.
Die große Ente
Dass der Preis ein Brandy der Marke „Gran Duque D’Alba“ ist und in der Wahrheit „Die große Ente“ genannt wird, liegt nicht nur an dem Wortspiel, sondern in der Person des Großherzogs von Alba begründet, der anno 1547 im Schmalkadischen Krieg Wittenberg eroberte und König Karl V. am Grab Luthers vorschlug, die Gebeine des Reformators zu verbrennen. Die Knochen eines großen Antisemiten verbrennen, kann so falsch nicht sein. Deshalb der Brandy.
Apropos Antisemitismus: Der Exekutivvorstand versprach den anwesenden Mitgliedern, dass man eines Tages beim Wahrheitklubtreffen an gleicher Stelle nach guter norwegischer Sitte aus dem Schädel von Bernd Höcke Brandy trinken werde.
Beifall brandete auf, der sofort in lautstarke Buhs umschlug, als Punkt zwei der Tagesordnung seiner Vollendung entgegensah: Die Gewinner des Jieper-Preies wurden aufgerufen. In diesem Jahr musste passend zum Gastland Norwegen der Satz „Wenn Wikinger wild Windeln wickeln, wittern Norweger würzigen Wind“ in einer Publikation untergebracht werden. Was die Norwegische Botschaft in Berlin einen argen „Schabernack“ und „Fake News“ genannt hatte.
Doch ein Publizisten-Team ließ sich nicht beirren: die Designcooperative Nittenau aus der Nähe von Regensburg. Die Nittenauer stellen den nun hoffentlich weltberühmten Regental-Anzeiger her, der das Tal des Flusses Regen mit regionalen Nachrichten versorgt – und in eine ebensolche trockene Mitteilung zur lokalen Wirtschaftsförderung zauberten die Regentaler den Wikinger-Satz hinein.
Dafür erhielten – herzlichen Glückwunsch! – Cordula Körber und Alex Schambeck den Jieper-Preis 2019. Was der Wahrheit eine besondere Ehre ist, da der Regental-Anzeiger seit Jahren am Unterbringwettbewerb teilnimmt und der gute Alex nur der Wahrheit zuliebe nach Frankfurt gekommen ist, leidet er doch an einer Reiseallergie, seit er einmal nach sieben Stunden Fahrt in einem norddeutschen Ort statt des lebensnotwendigen kraftspendenden Bieres nur ein alkoholfreies Jever Fun vorfand. Zum Glück wurde er bei der Wahrheit sofort mit Zaubertränken versorgt.
Gigantisches Großbuhen
Das gigantische Großbuhen der neidischen Menge ließ die Helmhörner erzittern, die Vögel verstummen und die Rehe erstarren … ach, nein! Es gibt ja keine Natur in der Halle 4.1 der Frankfurter Buchmesse. Dort geht es eher zu wie im Magen eines Riesentrolls: heiß, stickig und rumpelig grollend.
Kaum aber waren die Buhs leiser geworden – ein Klingeln! Am Apparat die Verleger der Wahrheit aus Münster. Der Oktober Verlag hatte sich einen Tag früher von der Buchmesse verabschiedet, weil man unbedingt am Samstag das wichtige Drittbundesliga-Spiel zwischen Preußen Münster und Sonnenhof Großaspach sehen musste. Nun wollte man wenigstens aus der Kurve des Münsteraner Antikstadions fernbuhen. Zu hören war im überlasteten Netz der Buchmesse leider lediglich ein Gurgeln.
Und damit rasch zu Punkt drei der Tagesordnung: ©Toms gefürchtetem Messespiel. In zäher nächtlicher Gedankenarbeit hatte sich Zeichner ©Tom im stillen Kämmerlein diesmal eine Art Windel-Cricket erdacht. Die Mitspieler sollten Thors Hammer schwingen und die glücklicherweise nicht gefüllten Windeln durch die Halle schmettern. Durch eine für die Wahrheit typische, eilig beschlossene Regeländerung mitten im Spiel gewann nicht der weiteste, sondern der höchste Schlag und damit das Team von Nele Darmstädter und Hans-Hermann Miest. Auch ihnen herzlichen Glückwunsch!
Wie immer klang das Wahrheitklubtreffen unter Strömen sprudelnden Zuckerwassers und mit einer Signierstunde von ©Tom aus. Und nächstes Jahr: Kanada! Lassen wir dann einen Mountie einreiten? Erschöpft und voller Vorfreude verabschiedeten sich die Wahrheitistas mit der Klubdevise: „Ridentem dicere verum.“
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