Die Wahrheit: Verhöhnt und ausgedieselt
Vor dem nächsten Dieselgipfel: Statt unbeliebter Fahrverbote könnten intelligente Messtechniken für saubere Stadtluft sorgen.
Wilhelm Klöble holt sich eine Flasche Rothaus aus dem Keller. Der 47-jährige Fliesenlegermeister aus Stuttgart-Feuerbach ist stinksauer. Vor dreieinhalb Jahren hat er seinen gebrauchten Diesel gekauft. Blütenweiß, Turbolader, 95 KW.
Willy, wie ihn seine Freunde nennen, hatte sich stets streng an die Greenpeace-Forderung gehalten, dass die Motorleistung nie höher sein sollte als der Intelligenzquotient. Trotzdem: ein klasse Auto. Aber jetzt drohen Fahrverbote. Die sind so beliebt wie Fußpilz. Willy seine Elfriede wohnt Stadtmitte. Will Willy sie zum Spätzle-Essen besuchen, müsste er die S-Bahn und Tram nehmen. „Müsste, müsste, Nordseeküste“, jammert Willy und weint. Weil: Sein blütenweißer Turbodiesel muss bald draußen bleiben. „Bei denen Benzinerkarra kommt doch au koi Veilchendüftle hinna naus“, sagt Willy, „isch doch scheiße älles!“ Am liebsten würde Willy einen fetten Pflasterstein ins Feuerbacher VW-Autohaus werfen. Oder die AfD wählen. Einer muss doch die Fahrverbote verbieten, denkt Willy.
Deutschland im Herbst: Während die Bäume arglos die Blätter fallen lassen, gibt es Millionen ausgedieselter Willys. Verhöhnte Automobilisten, ausgegrenzt, in U- und S-Bahnen geprügelt, ums heilige Blechle betrogen. Sie sind Emissionsopfer, Abgas-Loser, depressiv, suizidal und sehr, sehr traurig. Manche versuchen jetzt sogar zu Fuß zu gehen. Weil sie nicht mehr wissen, wie das geht, liegen sie mit gebrochenen Beinen auf Zebrastreifen herum. Einige hüpfen auf allen vieren, gehen rückwärts, schlagen Purzelbäume. Viele werden von Nicht-Dieseln überfahren. Oder von Aggro-Radlern angeklingelt: „Schimpanse, mach Strecke, verpiss dich!“
Stuttgart wird zur Sauerstoffoase
Politik „muss Lösungen finden“, erklärt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Nach sagenhaften zweiundzwanzig Dieselgipfeln ist es höchste Zeit. Dabei wäre alles so einfach. Würde man die Messstellen, wie von der FDP konstruktiv vorgeschlagen, nur einen einzigen Meter vom Straßenrand wegbewegen, würden die Feinstaub- und Stickoxidwerte sofort um zehn bis zwanzig Prozent heruntergehen. Bei einsfünfzig noch viel stärker. Zwei Meter weg – und Stuttgart wird zur Sauerstoffoase. Auch kleine Plastikhüllen, die als Dieselkondom die hochempfindlichen Messinstrumente gegen die toxischen Abgase schützen könnten, würden die Luftverschmutzung eindämmen. Beinah kostenneutral. Und: sofort einsetzbar! Letztlich alternativlos.
Obwohl: Auch die Neu-Eichung der Messgeräte bietet erfolgversprechende Perspektiven. Die Motorenentwicklungsabteilung des Wolfsburger VW-Konzerns hat sich bereit erklärt, die Neujustierung der Instrumente kostengünstig zu übernehmen. „Wir stehen in der Verantwortung, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt Konzernsprecherin Valentina Döbler-Preczebowsky. Die unbestechlichen Beamten des Kraftfahrtbundesamts würden das Update überwachen, eine klassische Win-win-Situation, die Wirtschaft und Umwelt versöhnt. Messen ist ein sensibles Terrain, schon mikrominimale Abweichungen im Eichprozess entscheiden über Dieselverbote oder freie Fahrt. Die Messinstrumente könnten aufs Millionstel Nanometer exakt so eingestellt werden, dass selbst die Deutsche Umwelthilfe mit den Messwerten zufrieden wäre. Warum tun wir’s dann nicht?
Göttlicher Rat
Es hängt am Messrhythmus. Warum nur immer so hektisch? Rund um die Uhr, ohne Unterlass, immer nur messen, messen, messen. Bis die Zeiger heiß laufen. Die Folge: Materialüberlastung und deshalb entstehen unverzeihliche Messfehler, fast verzweifelte Ausschläge der gequälten Mechanik. Am siebten Tage sollst du ruhen, lautet der göttliche Rat. Einfach mal abschalten, die Messseele so richtig baumeln lassen. In der Rushhour öfter eine Messpause einlegen, und schon kommen wir zu ganz anderen Ergebnissen.
Dabei gibt es einen genialen Vorschlag – effizient und kostenminimierend. Man muss nur leicht und lässig messen. Warum ständig überall teure Geräte installieren? Jedes Land könnte es für sich tun. Oder es würden gleich weltweit nur zwei Stationen eingerichtet: eine im Norden (Arktis) und eine im Süden (Sahara). Deren Ergebnisse würden arithmetisch gemittelt, planetar angewandt und – zack! – könnte die Menschheit endlich wieder tief durchatmen, so klinisch rein war die Erde noch nie.
Deutschland im Herbst: Während die Bäume arglos ihre Blätter fallen lassen, ruht eine Nation im neuen Dieselfrieden. Unser Land – ein Luftkurort. Der Freidemokrat Christian Lindner bekommt die Rudolf-Diesel-Medaille, die Groko merkelt mild und munter weiter vor sich hin. Und der EU-Grenzwert für Autoabgase wird kurz vor Weihnachten auf eine Tonne Gift je Kubikmeter Abgas moderat angehoben. Diesel-Willy, den Altmeister des Kachelns, würde es freuen und mit seinem blütenweißen Turbolader versöhnen.
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