piwik no script img

Die WahrheitScooterman kämpft mit Atari

Kolumne
von Knud Kohr

Mit einem alten Freund zusammen besucht unser Held eine Spielwarenabteilung auf der Suche nach dem Loser Larry im Land der Lounge Lizards.

K ürzlich hatte Scooterman Besuch von einem Freund, den er so lange kennt wie niemanden sonst auf der Welt. Es war Januar 1977, als der Jüngling mitten im Schuljahr zur Klasse des Scooterman stieß. Oder 1976? Auf jeden Fall war es das Jahr, in dem die erste Generation der Atari-Spielkonsolen in die Kinderzimmer dieser Welt vordrangen.

Auf jeder Kassette, die man in die Konsole einführte, befand sich genau ein Spiel. Oder es waren höchstens zwei. Wenn man spendable Angeber als Eltern hatte. Und dann wurde gespielt. Pong zum Beispiel. Links ein weißer Strich, rechts ein weißer Strich. Dazwischen bewegte sich ein weißer Punkt hin und her. Eine Frühform des Tennis? Wahrscheinlich.

Oder man entdeckte die schlüpfrige Welt des Losers Larry. Und Strip-Poker. Es brauchte mindestens zwei Stunden, bis man die zackig und unscharf gepixelte Gegenspielerin aus ihrem BH gespielt hatte. Was man nicht alles so tut als präpubertierender Tastenkünstler.

Worum es eigentlich ging, wusste Scooterman schon damals nicht genau. Doch die Nachmittage, die ihre Freundschaft begründeten, liefen immer gleich ab. Bis zu dreimal wöchentlich starteten die beiden Freunde die Spiele in der Konsole. Und dann wurde gespielt, bis einem der beiden die Augen so sehr brannten, dass er um eine Pause bitten musste. Also etwa nach dreieinhalb Stunden. In der Regel schlurfte dann Larry noch immer durch das erste Level. Dass es noch weitere Level gab, entdeckte der junge Scooterman erst später und eigentlich durch puren Zufall.

Irgendwann beim Besuch des Schulfreundes kam das Gespräch auf die guten alten Atari-Steinzeiten. Ein Wort gab nicht nur das eine, sondern durchaus auch das andere. Wenig später brachen die beiden Uraltfreunde auf zur Karstadt-Filiale in Berlin-Neukölln. Die nämlich, so konnte sich Scooterman erinnern, war großflächig genug ausgelegt für Scootermans Scooter, den er wegen seiner Multiplen Sklerose braucht. Und irgendwo in der Spielwarenabteilung würde es doch bestimmt noch die alten Spiele geben?

Es wurde eine riesige Enttäuschung. Tatsächlich fanden Scooterman und sein Freund nur Nachfolgemodelle der alten Spiele. Die Geschichte von Larry im Land der Lounge Lizards scheint noch immer nicht auserzählt zu sein. Macht man einen Fehler, fällt man noch immer in einen Schacht. Und Al Lowe, der legendäre Programmierer, empfiehlt noch immer „Save often, save early“. Der alte Zauber mag sich dennoch nicht einstellen.

Also brachen Scooterman und sein Freund den Ausflug in die eigene Vergangenheit nach einer Stunde enttäuscht ab und kehrten heim. Im Erdgeschoss der Karstadt-Filiale werden übrigens auch keine Papageien mehr verkauft. Oder so versteckt, dass Scooterman sie nicht entdecken konnte? Leisure Suit Larry und Konsorten aber blieben dort, wo sie hingehören. In einer imaginären Schachtel mit Jugenderinnerungen. Zwischen den Ohren des Scooterman.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!