Die Wahrheit: Meister aller Karoklassen
Vor 20 Jahren erschien Uli Stielike der Fußballwelt im „Sakko des Grauens“. Eine Wahrheit-Visite in seinem begehbaren Kleiderschrank.
Augenzeugen raunen heute noch teils amüsiert, teils schaudernd von jenem historischen Moment, als Uli Stielike damals den Raum betrat: Dieses Sakko, dieses großkarierte Monstrum, dazu ein schlecht sitzendes Hemd und eine absurde Krawatte. Es war der 9. September 1998, vor zwanzig Jahren also, Stielike wurde als neuer Co-Trainer der Nationalmannschaft vorgestellt. Chef war Erich Ribbeck, der eine beispiellose Phase des Niedergangs der DFB-Elf personifizieren sollte. Stielike aber stahl ihm bei der Inauguration die Show. Mit diesem einen Jackett: schwarz-braun, großes weißliches Karo-Muster, eher zwei als eine Nummer zu groß. In die Modegeschichte ging es bald als „Sakko des Grauens“ ein.
Am Morgen ist Stielike, mittlerweile 63 Jahre alt, zum Termin extra aus China gekommen, wo er derzeit den Erstligisten Tianjin Teda trainiert. „Ich bin sehr dankbar, dass sich mal jemand für mein Jackett-Faible interessiert“, hatte er die taz schon vorab wissen lassen. „Niemand hat das je recht gewürdigt. Im Gegenteil.“
Stielike, einst Star in Mönchengladbach und acht Jahre bei Real Madrid mit 42 Länderspielen, kennt die Kommentare noch genau. „Modischer Ausrutscher“ habe dieser Spiegel geschrieben, sagt er angewidert, „ein Stück Stoff, von dem man nicht glauben konnte, dass es jemand anziehen würde“. Besonders gemein sei Bild gewesen: „Die haben von einer Jux-Jacke geschrieben. Als wäre Karneval!“
Altarhafte Erhebung für Reliquie
In badischen Ketsch, seinem Geburtsort, führt uns der lebenslang schnauzbärtige Mann in seinen begehbaren Kleiderschrank, der den früheren Partykeller seiner Eltern einnimmt. Perfekt gesetzte Lichtspots lassen die Auslagen strahlen. Hunderte Jacken hängen hier. Ganz hinten, wo Papa Stielike früher sein geliebtes Höpfner Bier aus Karlsruhe zapfte, liegt auf einer altarhaften Erhebung schließlich ausgebreitet das Sakko aller Sakkos. Wie eine Reliquie.
„Ist es nicht herrlich? Diese Linien, diese feine Symmetrie“, sagt Stielike feierlich. Wir dürfen darüberstreichen: ein nachgerade zarter Stoff, von taktiler Milde, reine Schurwolle. Karl Lagerfeld habe es damals für ihn schneidern lassen, verrät Stielike, ein Unikat, natürlich, mit Filet-Wolle von Jungschafen aus der südafrikanischen Karoo-Wüste.
Karoo passe doch, lächelt Stielike. „Karos sind meine große Liebe.“ Schon als Kind, sagt er, seien Nick Knatterton und Sherlock Holmes seine Idole gewesen, „die Godfathers of Karo“. Tatsächlich: Neben ein paar Jacketts im Zebradesign und einem Regenbogen-Dreiteiler hängen hier fast nur Karomuster: pink-orangefarbene Kühnheiten, cremefarbene Augenschmeichler und mutige Glitzerfummel: „Mit denen habe ich, bevor es den Film gab, beim ‚Saturday Night Fever‘ in Großraum Ketsch alle Mädels rumgekriegt.“
Das Fußballmodemagazin 11 Freunde sah bei Stielikes Jackett einmal eine Bestätigung für „die eigenartigen Beziehung von Fußballern und ihrer Oberbekleidung“. Helmut Schön habe seine Schiebermütze gehabt, Udo Lattek den blauen Pullover, Klaus Schlappner den Pepitahut. „So ist das doch bis heute“, sagt Stielike, „Jogi Löw trägt tuntige Schals, andere nur Ballonseide oder langweilige drei Streifen.“
Stichwort! Doch, bestätigt Stielike, Adidas habe sein Sakko-Design mit den Doppelstreifenkaros damals kurzfristig um je einen dritten Streifen erweitern wollen. „Die haben viel Geld geboten. Das zeigte mir zwar, wie nah am Zeitgeist mein Outfit war. Aber es ging mir“, Stielike hebt die Stimme, „um Geschmack, nicht um Reklame. Und ich bin froh, dass ich bei den zwei Streifen geblieben bin; sonst wäre der 9. 9. vielleicht niemals zum Welttag der Herrenoberkleidung geworden.“
Stielike-Jünger auf dem Vormarsch
Karos sind auf dem Vormarsch – da ist sich Stielike sicher. Längst sei er Branding-Botschafter bei der Kultmarke Burberry. „Und sehen Sie sich wichtige Persönlichkeiten der Zeitgeschichte an! Recip Erdoğan trägt großkariertes Sakko oder Alexander Dobrindt: Das ist der geschmackvollste Politiker, das muss ich sagen. Herrlich, was der durch seine Ämter trägt. Und das sogar als kompletter Anzug, nicht nur als Jackett.“ Klarer Fall: „Das sind alles Stielike-Jünger.“
Wenn er allein sei, trage er auch schon mal Schottenröcke: „Muss man sich doch nicht dafür schämen.“ Nur sein Lebenstraum werde wohl nicht in Erfüllung gehen: Nationaltrainer Kroatiens. „Das wäre das perfekte Glück. Schade, dass die Karo-Trikots nicht Weltmeister geworden sind.“
Auf chinesischen Trainingsplätzen hat Stielike längst Maßstäbe gesetzt. „Wir spielen nicht mit Raute oder Viererkette. Wir fangen Gegner mit unserer Karo-Taktik.“ Und dann wird Uli Stielike fast schon vertraulich. „Wenn ich Ihnen noch meine Unterwäsche-Kollektion zeigen darf, hier drüben bitte.“ Flinkerhand löst er das Vorhängeschloss zu seinem Slipschrank. Eilig suchen wir das Weite.
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