Die Wahrheit: Auenland ist abgebrannt
Die Übersetzung des Brexit-Papiers der britischen Regierung ist ein äußerst merkwürdiges altertümliches Dokument.
Als degradierten die Entscheidung für den Brexit sowie ihre Küche aus frittierten Marsriegeln und Eingeweiden in Mürbeteig die Briten nicht schon genug zur Lachnummer, setzen sie nun noch einen drauf. Als Blamage ordnet der Independent die deutsche Übersetzung des neuesten „Weißpapiers“ ein, das den geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU regeln soll.
So urteilen deutschsprachige Diplomaten, das Ergebnis sei in einer merkwürdig archaischen, mit erfundenen Komposita wie „Fischergemeinden“ gespickten, sinnlos überkomplexen und „äußerst mythischen (!)“ Sprache gehalten. Kurz, es sei „unlesbar“, und der Verfasser dürfte niemals Deutsch gesprochen haben, geschweige denn professioneller Übersetzer sein.
Der Gemeinte gibt das sofort zu. „Nein, ich habe keinen Schimmer“, bestätigt der verantwortliche Steven Fenwick-Porter-Huston, den wir in seinem Sommerhäuschen in Froaughstershire aufgestöbert haben. „Aber irgendeiner muss es schließlich machen.“ Da scheint das typische Understatement durch, das die Welt an diesem Inselvolk so sehr bewundert. Nur ein derart lässiger Genpool vermag die Enigma zu entschlüsseln und eine Paste aus Brauereiabfällen als Nahrung zu verwerten.
Ein Fressen für Wortästheten
Für den objektiven Betrachter und erst recht den Lyriker, den Literaten, den Wortästheten weist das Schriftstück allerdings durchaus seinen eigenen Reiz und Reichtum auf – wie zum Beispiel in Punkt 5, „Theutonensturm vnd Dänenbruth“ (im Original „Controlling Immigration“):
„Ritter, Zwergh und Gauckelmann avs frehmd Feyndesland hinforth benöthigt zum Betrite der Gestade Albions een Urkund, desalso’n da er eylth herbey to’n Grenzpfahl zwiefach Pergament deß Köhnigs Siegelholtz pardü bimbim bambam Fischergemeinde, o, Engelland, min Engelland, darob deis Gieselberts Geflunkh, in raumüßig schaum’ger Brandung hehr deß schröcklich Drachen Zauberwald gemäß der Wirtschaftsbeziehungsveränderungsgesuchsnebendokumentsverordnung seyd gewyß.“
„Ja“, sagt er nun doch nicht ohne Stolz, „das habe ich übersetzt. Eine Schweinearbeit. Fast zwei Stunden während England gegen Panama bei der WM.“ Wir unterhalten uns selbstverständlich auf Englisch, denn neumodisches Vokabular wie „übersetzt“ ist unserem Gesprächspartner nicht geläufig.
Schuld daran trägt, ebenfalls laut Independent, ein bereits bekanntes Manko: der in Großbritannien vernachlässigte Fremdsprachenerwerb. So ist Fenwick-Porter-Huston der letzte noch lebende Brite, der über deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Seit sämtliche Fremdsprachen – nur in einem Heizungskeller der Universität von Southport wird der Sage nach noch jeden Neumond ein verbotener Grundkurs in „Frog Talk“ abgehalten – als Unterrichtsfach abgeschafft wurden, ist man auf Autodidakten wie ihn angewiesen.
Gelernt hat er sein Deutsch bei Eschenbach und Aue, vor allem aber aus der uralten „Enciclopedia Germania Praecox“, die er 2006 bei einer Dienstreise mit seiner Hooliganriege Millwall Blood Army aus einer Gruft unterhalb des Gelsenkirchener Doms entwendet hatte. Das „Sommermärchen“ mit all den schönen Frauen, dem billigen Bier und der schwächlichen Polizei ließ seine Liebe zu Deutschland, seiner Kultur und nicht zuletzt seiner traditionsreichen Sprache entflammen.
Schminktipps für den Hexensabbat
Besagte Enzyklopädie hatte der Debrezinermönch Frydhelm von der Arsgeweyhde im Jahr 985 n. Chr. auf Althochmittelniederneudeutsch geschrieben: ein Handbuch für giftige Kräuter, Met aus fermentiertem Igelharn, Schminktipps für den Hexensabbat sowie Anweisungen zur Abwehr von „Brathbolden“, finsteren kleinen Gegenwesen, die nachts ungetauften Kindern das Blut aussaugen.
Ein durchaus nützliches Buch also, wenngleich sich bei der Übertragung des „White Paper“ ins Deutsche dann doch die Grenzen zeigen. So werden in Punkt 9, der die Erweiterung des Außenhandels thematisiert, ausdrücklich Staaten wie Atlantis, Avalon und Auenland genannt. In einem weiteren Abkommen (CETA) mit der ehemaligen Kronkolonie Kanaan ist sogar geregelt, wie viele, hier mit Fellen und Getreide, dort mit in Sauerwein getränkten Trockenkartoffeln, beladene Langschiffe jeweils an der anderen Küste anlegen dürfen.
Unter Punkt 11, „Cooperating in the fight against crime and terrorism“, ruft Fenwick-Porter-Huston mit dem malerisch übersetzten Titel „To de wâfen bruodar“ die ehemals Verbundenen zum weiterhin gemeinsamen Kampf gegen Orks, Falbwölfe und Panzermuttis auf. Da muss sich der einfache Brüsseler Beamte deutscher Zunge natürlich erst mal hineindenken. Doch es lohnt sich, denn dieses „White Paper“ ist ein rührendes Dokument der Versöhnung und des guten Willens, trotz seiner Übersetzung oder sogar gerade derentwegen.
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