Die Wahrheit: Zähne zeigen
Ein Besuch beim Zahnarzt. Nichts ungewöhnliches. Wäre da nicht diese neue Datenschutzerklärung, die sich überall hineinbohrt
A us meiner Zahnarztpraxis erreichte mich die Aufforderung: „Zeigen Sie uns Ihre Zähne!“ Als ich die Praxis betrat, musste ich als Erstes die neue Datenschutzerklärung unterschreiben, dass ich damit einverstanden bin, wenn mein Zahnarzt sich merkt, was er beim letzten Mal mit mir getan hat. Welche Zähne noch vorhanden, verschwunden oder überkront waren. Wer soll sich das merken, wenn nicht sie! Mein Zahnarzt ist weiblich, und sie darf das nicht nur, sie soll es sogar!
Ich habe dieses Mal auch eine „professionelle Zahnreinigung“, als Prophylaxe, zur Prävention, damit sich nicht alles, was heute noch stabil da steht, bald in Ruinen oder sogar Brachland verwandelt. Mein Name wird zügig aufgerufen. Aber gerade als ich mich erheben will, springt jemand noch schneller auf. Ich bin völlig konsterniert und bleibe zurück. Mein Familienname ist in Kassel, wo meine Zahnärztin arbeitet, ein eher ungewöhnlicher Name, ganz anders als in meiner Heimat Minden, wo wir Giesekings die Schulzes, Müllers und Meiers locker an Zahl überflügeln.
Nach einer durchstaunten Minute frage ich die Dame am Empfang, wie der Herr eben wohl mit Namen geheißen hat. Das dürfe sie mir nicht sagen wegen des Datenschutzes, erklärt sie. Ich sage, dass ich sehr erstaunt sei, weil er den gleichen Namen habe wie ich. Die Dame schaut, dann nickt sie, dann versteht sie. Sie eilt ins Behandlungszimmer, in dem, den Geräuschen nach zu urteilen, bereits diverse Gerätschaften in Anwendung sind. Ich höre hektisches Flüstern. Dann flitzen mir die zwei Damen mit dem Herrn, der doch anders heißt als ich, entgegen. Er murmelt: „Ich wollte einfach dran sein.“
Es wäre schon interessant gewesen, welche Behandlung man mir hätte angedeihen lassen an seiner Stelle. Also frage ich: „Was hatte der Patient denn?“ Das dürfe man mir nicht sagen, das falle unter den Datenschutz, heißt es. Ich frage „Conny“ – der Name steht auf ihrem Schild, den Nachnamen darf ich nicht schreiben wegen des Datenschutzes –, ob sie eigentlich eine „Sprechstundenhilfe“ sei oder was die richtige Berufsbezeichnung wäre. „Fachkraft für Prophylaxe“, sagt sie. Und die Dame vorne am Empfang? Das sei die „Praxismanagerin“. Ob sie sich erklären könne, warum der Herr eben meine Behandlung hätte haben wollen? Sie grinst. Bei akutem Schmerz seien die Patienten praktisch wie im Delirium.
Dann schaut sie in meinen Mund: „Uiuiui! Sie waren aber lang nicht mehr da.“ Plötzlich finde ich Datenschutz sehr gut. „Wird schon!“ Sie nimmt ein Ultraschallgerät und hämmert mir den Zahnstein runter wie sonst der Specht die Borke. Anschließend deliriere auch ich und sehe Conny mit ihrem Druckluftschlauch kurz als Indiana Jones mit Peitsche. „Werde ich alt?“, pfeife ich durch die neuen Lücken. Sie lächelt: „Seien Sie froh, dass Sie noch Zahnzwischenräume haben.“
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