piwik no script img

Die WahrheitDie vergessene Generation

Kolumne
von Kurt Scheel

Sag mir, wo die Generationen sind. Wo sind sie geblieben? Vor allem die eine, die „irgendwie dazwischen“ ist und seit einiger Zeit abtritt.

I m Jahr 2017 wurde keine einzige neue Generation ausgerufen. Dabei war im Gefolge der „Generation Golf“ das Generationsgesums sehr modern geworden. Alle paar Wochen wurde eine neue Epoche an den Haaren herbeigezogen, bis man fast am Ende des Alphabets angelangt war und die sogenannten Millennials zur „Generation Y“ erklärte. Und nun? Keine „Generation Trump“. Keine „Generation Weinstein“. Nichts, nada, niente. Dann müssen halt die Alten ran und auf eine nahezu vergessene, ja verdrängte Generation zurückblicken.

Derzeit treten die von 1930 bis 1935 geborenen deutschen Menschen langsam ab – „zu früh!“, klagen die einen, „endlich!“, rufen die anderen, aber weder die einen noch die anderen flechten dieser Generation schmuckvolle Kränze. Warum ist das so? Eine ganze Generation verlässt uns, und niemanden juckt’s! Warum sind gerade sie in Zeiten ausgeprägter Erinnerungskultur „die Gelackmeierten“ oder, wie man heute deftig sagt, „die Gefickten“?

Die Antwort liegt auf der Hand: Sie waren zu jung, um als Flakhelfer oder gar im Volkssturm „verheizt“ zu werden, zu alt jedoch für die Studenten­revolte und echtes Achtundsechzigertum. Ihre Feinde nennen sie deshalb in schmähender Absicht „Generation Wischiwaschi“, sie selber aber ziehen die (selbstironische) Bezeichnung „Generation Irgendwie Dazwischen“ (GID) vor.

Es sind bedeutende Menschen sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts darunter, andere chromosomatisch bedingte Geschlechter gab es damals, in der Nazizeit!, natürlich noch nicht, leider. Dafür gab und gibt es zum Beispiel: Helmut Kohl, Caterina Valente, Gerhard Mayer-Vorfelder, Hellmuth Karasek, Jutta Limbach, Mildred Scheel, Karl Lagerfeld, Ulrike Meinhof, Hans Tilkowski.

Es gibt aber auch deutsche Menschen der GID, deren Namen niemand mehr kennt, selbst die nächsten Verwandten schütteln bedauernd, ja abwehrend den Kopf: Dorothea Kobs-Lehmann, Werner Schuster, Anneliese Augustin, Hans-Martin Linde, Franz Froschmaier, Hannelore Schlaf, Irmgard Düring …

Und dennoch! Auch sie haben höchstwahrscheinlich, ihrer Generation entsprechend, „irgendwie“ beim Wiederaufstieg Deutschlands aus Krieg und Vernichtung mitgeholfen: Wirtschaftswunder und Wiederbewaffnung, Bern 1954 und München 1974 und Italien 1990 und Brasilien 2014, Neue Ostpolitik und Mauerfall, dann die so lang ersehnte deutsche (Wieder-)Vereinigung in einem in Freiheit geeinten Europa der Vaterländer!

Dank und Anerkennung an dieser Stelle für all das Gute, das diese deutschen Menschen der „Generation Irgendwie Dazwischen“, und sei es nur als Scherflein, beigetragen haben. Für all den Scheiß, den sie, in Wort und Tat, aber zweifellos auch gebaut haben, mögen sie in der Hölle schmoren – es sei denn, sie bereuten es aufrichtig, dann können sie durchaus mit Verzeihung, ja Ent-Schuldigung rechnen, denn Versöhnung ist die Gnade ehrlichen Vergebens.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Leider schreibt da anscheinend jemand, der Statistiken und Geschichtsbücher gelesen hat, aber niemals mit Menschen Kontakt hatte, die 1930-1935 geboren sind oder waren.

    Meine Eltern mussten aus Oberschlesien fliehen, nachdem sie eine Kindheit und Jugend in Kriegszeit erleben müssten.

    Mein Vater musste Dinge als Jugendlicher miterleben, die man heute nur noch aus dem Fernsehen kennt. Also Mord, Vergewaltigung und Demütigung durch die Wandalen des Krieges.

    Sie haben 3 Kinder durch diese schwierigen Zeiten gebracht und nach der Flucht, zuerst in Flüchtlingslager und dann unter ärmlichen Bedingungen in der BRD ein neues Leben aufgebaut.

    Es sollte dieser Geration mit Respekt und Dankbarkeit begegnet werden, auch weil viele trotz ihrer negativen Prägung zu toleranten Menschen geworden sind.

    PS: Es gab auch andere, aber ich beziehe mich auf meine eigene Erfahrungen, also Eltern.

     

    Winfried Hartwig

  • Ach er nu wieder - kerr!;)

     

    Jau - ziemlich scheel - mit Klappe -

    Das Ganze - Irgendswie dazwischen.

    Dieses Scherflein.

    kurz - Generation Kurt.

     

    (= Kaan liggers Kattenshit in Düstern rüken!;)

    • @Lowandorder:

      kurt - Vergisses.

      Danke.