Die Wahrheit: Ballistol statt Goldkrone
Vor der Bundestagswahl lohnt ein Blick in den politischen Backstage-Bereich. Jeder Partei-Protagonist hat seinen persönlichen Tour-Rider.
Die Hausfassaden sind gestriegelt, die Marktplätze gefegt und die Turnhallen von Flüchtlingsbetten befreit: Deutschlands Spitzenpolitiker sind wieder auf Wahlkampftour. Keine Strecke ist zu weit und keine Spesenabrechnung zu hoch, wenn die Helikopter die großen Provinznester ansteuern. Doch wer im steten Marathon die Volksnähe sucht, der möchte an seinem Rückzugsort, dem Backstage-Bereich, in Ruhe dem wohlverdienten Luxus frönen.
Bei Popstars ist es gang und gäbe, dass die Veranstalter vorher angewiesen werden, wie die Großen zu umsorgen sind – via eines sogenannten Tour-Riders. So fordert Pop-Diva Mariah Carey auch mal zwanzig weiße Babykatzen, hundert weiße Tauben und reichlich Vitaminwasser, um ihren Hund darin zu baden. Ob sich die Forderungen der politischen Elite Deutschlands ebenfalls so edel gewaschen haben? Oder wird auf Wahlkampftour backstage doch nur mit Gletscherwasser gekocht?
Es gibt ein paar Dinge, die in Deutschland gewiss sind: die Steuer, die nächste Staffel „DSDS“ und Merkels Wahlkampftour alle vier Jahre. Die Veranstalter der Kommunen sind dementsprechend mittlerweile gut vorbereitet. Man erinnere sich nur an das Fiasko, als ein aufstrebender Eventmanager aus Wunstorf-Steinhude als Hauptgang Couscous mit kandierten Zwiebeln und Rosinen statt deutscher Hausmannskost servierte. „Frau Merkel mag keine Abwechslung – zu aufregend“, berichtet der seitdem Arbeitslose. Diesem Mantra folgend muss der Backstage-Bereich in einem schlichten Grau gestrichen sein. In die Mitte ist immer eine deutsche Eiche zu platzieren – robust und ewig. Der obligatorische Spielbereich mit Chemiebaukasten und Teilchenbeschleuniger für Joachim Sauer gehört ebenso dazu wie sein Gitterbett, falls er während besonders langer Aufenthalte quengelig wird.
Martin Schulz schwört als Treibstoff für die lange Tour neuerdings auf Ballistol – etwas Waffenöl kann schließlich nicht schaden. „Ich trinke alles, was ich kriegen kann“, so Schulz. Ansonsten hält es der fremdernannte Gottkanzler schlicht und volksnah – alle vier Wände hinter den Kulissen sind aus Glas. „Für mehr Transparenz“, wie Schulz anmerkt. Lediglich eine kleine Ecke soll mit dunklen Vorhängen undurchsichtig abgehängt werden. Im Tour-Rider steht dazu der Vermerk „Zum heimlichen Weinen“.
Als Vollzeit-Poser aus Leidenschaft ist Christian Lindner immer auf der Suche nach ein paar authentischen Momenten für seine Instagram-Story. Der gesamte Backstage-Bereich muss deshalb mit einem melancholisch-tiefsinnigen Schwarz-Weiß-Filter überzogen sein. Lediglich ein Wandbild von der Schwebebahn soll den 38-Jährigen an seine Wuppertaler Wurzeln erinnern. „Ein bisschen Demut muss man bewahren“, kommentiert er sich selbst mit einem Champagner-Lächeln. Für Entspannung sorgen hippe Szenegetränke wie Bionade oder Gurkenlimo, die musikalische Untermalung kommt von Star-DJs aus Frankreich – Motto: Der Bass muss ficken!
Auch die AfD ist fleißig auf Feldzug, Pardon, Wahlkampftour. Der Eingang in den Backstage-Bereich sollte ausschließlich von rechts ermöglicht werden. Während Kollegin Alice Weidel laut Vertrag hinter der Bühne wahlweise beim Leergut oder in einer Ecke abzustellen ist, wo sie mit dem Lego-Baukasten „Festung Europa“ beschäftigt wird, hat Alexander Super-Gaulands Rider fast schon biblische Ausmaße. Die Parole lautet: Kein Ariernachweis, kein Service!
Pappaufsteller als Amüsement
Für die Mitarbeiter heißt das: Wer nicht über achtzehn Generationen nachweisbar reinblütig ist, fliegt aus dem Team. Außerdem gilt die Boateng-Obergrenze: Nie mehr als ein Bayern-Verteidiger darf im Umkreis von 150 Kilometern um den Veranstaltungsort zugegen sein. Ein lebenskleiner Pappaufsteller von Frauke Petry reicht als Amüsement, zu viel Freude ist schließlich keine Alternative für Deutschland.
Es grünt so grün im Betriebsbereich der Grünen. Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt setzen auf erneuerbare Energien – weshalb ein menschengroßes Hamsterrad vor Ort für Strom sorgt. „Selbstverständlich strampeln wir da nicht selbst drin, also bitte!“, so Göring-Eckardt. Frei nach dem Wahlkampfslogan „Zukunft wird aus Mut gemacht“ soll es Backstage wie ein Geisterhaus aussehen – bei den Details vermeiden die Grünen allerdings wie so oft eine klare Haltung.
Laut Tour-Rider der Linken, der unter dem Wahlkampfmotto „Sozial. Gerecht. Frieden. Für alle.“ steht, verzichten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gänzlich auf einen abgetrennten Backstage-Bereich. Die ostdeutschen Spitzenkandidaten trinken ihren Pausentee aus Rotkäppchen mit Goldkrone traditionell hinter dem erstbesten Mäuerchen, das sich am Wahlkampfort finden lässt. Ob aber die Linke mit einem solch avantgardistischen Wahlkampf-Prozedere tatsächlich irgendetwas bei der Bundestagswahl reißen wird, ist doch mehr als fraglich.
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