Die Wahrheit: In der Kanzlerbäckerei
Wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit hat Angela Merkel ihre geliebten Koalitionäre zum festlichen Plätzchenschmieden eingeladen.
Alle Jahre wieder findet im Kanzleramt der traditionelle Koalitionsbacktag statt, der gestern nicht nur wegen des Terroranschlags in Berlin unter keinem guten Stern stand, denn Verbraucherminister Schmidt hatte verfügt, alle Süßwaren künftig mit einem Hinweis aus Zuckerguss zu versehen: „Zucker kann Ihre Gesundheit gefährden!“ Was Sigmar „Erzengel“ Gabriel wie folgt kommentierte: „Was der Union fehlt, ist Süssmut!“
Einig waren sich alle Beteiligten in ihrem Verzicht auf Dresdner Stollen, da alles, was in diesem Jahr aus Dresden gekommen sei, die Grenzen des Erträglichen längst überschritten habe. Auch auf das Abspielen des Liedes „Süßer die Klöckner nie klingelt“ wurde auf Anraten der Kanzlerin verzichtet. Selbst die Schmankerln aus Bayern kamen nicht uneingeschränkt gut an, vor allem die Dobrindte liegt manchem schwer im Magen.
Trotz ihres nicht zu bestreitenden Erfolgs denkt manch einer, dass die klebrige Masse nicht ganz durchgebacken ist, wobei der großkarierte Teig auch größte Hitze aussitzt. Die Backmasse kann man auf das Blech reden, dann darf man in die Röhre schauen und sie bereits nach acht, neun Jahren aus dem Ofen nehmen. Einmal tüchtig durchsödern, eine Messerspitze Anis, ein Schuss Knickebein, fertig. Anschließend füllen wir alles in die vorgewärmten Fettnäpfchen ab. Ein Schäuble Puderzucker darüber gestoibert – und schon kriegt die Dobrindte ihre charakteristische Farbe: wie eine weiße Weste. Dazu ist sie angenehm ölig und schmeckt vielen sogar, wenn sie schon etwas angescheuert ist.
Liebend gern hätte sich die Kanzlerin ein Kretschmännle gebacken, was Horst Seehofer sogleich in Rage versetzte. Das sei doch nur eine schwäbische Kleinigkeit, wie der Name bereits andeute, so die Kanzlerin, er solle nur mal probieren, da würde er sich keinen Zacken aus der Makrone brechen. Das Kretschmännle allerdings war groß wie ein Heiermann, aber struppig und nahrhaft wie Hutzelbrot. Die Würzzutaten sollte man sich möglichst an Originalschauplätzen besorgen, also da, wo der Pfeffer wächst, sprich in Sigmaringen: Vanille, Krokus und irgendwas mit Biodinkel.
Allgemeinplätzchen aus Schwesig-Holstein
Für etwa 320 Kretschmännle benötigt man etwas Teigiges, einen Teelöffel Mürbe, zwei, drei Rhizinüsse und gut drei Zentner Geschmacksverstärker. Dann muss der Schaumschläger namens Özdemir in Aktion treten. Die Masse gießt man hernach in einen Demeter-Backstein, schiebt ihn in den Ofen und wartet sich grünrot.
Die SPD überbrückte die Situation mit ein paar Allgemeinplätzchen aus Schwesig-Holstein, um dann das Schulzkuchenpferdchen zu präsentieren. Zäh sei es und häufig bockelhart, schon manch einer habe sich daran einen Backzahn ausgebissen. Aber die Genossen, die es genossen, halten es eher für eine harte Nuss, da es dazu tendiere, erst bei Zufuhr von heißer Luft aufzugehen. Immerhin sei das Schulzkuchenpferdchen arm an ungeselligen Fettsäuren, trotzdem nicht allzu süß und daher auch für Diaboliker geeignet.
Das Fazit im Kanzleramt aber lautet: Eine besinnliche Stimmung wollte beim diesjährigen Koalitionsbacktag nicht aufkommen. Kein Wunder: Zu viel Bruch im Lebkuchenland.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin