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Die WahrheitÖl und andere verrückte Sachen

Kolumne
von Bernd Gieseking

Der Alltag ist im Wandel. Die einfachsten Dinge an der Tankstelle oder in der Bank funktionieren nicht mehr so, wie sie es tun sollten.

D ie Welt ist verrückt. Ich meine nicht Twitter oder sonstigen Schmonzes, sondern den Wandel im Alltag. Das kleine Ungeheuerliche. Ich fuhr mit meinem etwas älteren Motorrad, das länger gestanden hatte, zur Tanke. Mein Tankschloss klemmte. Nur mit Mühe bekam ich den Deckel auf. Der musste geschmiert werden. Ich ging hinein zum „Tankwart“. Tankwart ist ein Lehrberuf mit dreijähriger dualer Ausbildung. Über der Tür stand jetzt aber „Rewe Shop to go“.

Drinnen fragte ich den „Tankwart“, ob er mir mit Graphitöl oder Ähnlichem fürs Schloss aushelfen könnte. Der Nerd an der Kasse sah sich plötzlich dem Ernst einer Tankstelle gegenüber. Ich wollte nicht „Rewe to go“, sondern „Schmieröl to open“. Seine Augen weiteten sich. Dann hatte er eine Eingebung: „Da hinten haben wir was.“ Er wies auf ein fernes Regal. Hinter dem „Rewe to go“ war ein kleines „For Cars to drive“.

Aber eine Flasche als Service für Kunden? Wenn man nur einen kleinen Hieb braucht? Er schüttelte den Kopf. „Sie sind doch ’ne Tankstelle. Ein Serviceposten für Fahrzeuge.“ – „Wir haben nur Benzin. Und Rewe to go.“

Ergeben ging ich zum Regal und fand zwischen „Felgenreiniger SuperShine“ und „Cockpit Spray“ nur Enteisungsspray – an einem heißen Tag im Juli. Aber kein Kriechöl. Dafür Dosensuppen!

Zwei Tage später war ich zu Besuch in meinem Heimatdorf. Ich ging dort mit meiner Geldkarte zur Sparkasse. Die hat nur noch an zwei halben Tagen in der Woche Schalterstunde. Heute war eine. War aber nicht nötig. Dort steht ein Geldautomat. Ich bekam drei mal Hundert. Das wechselt einem keiner. Ich ging hinein. War ja Schalterstunde.

Drei Hunderter in sechs Fünfziger tauschen? „Normal“, dachte ich. Der Kollege sagt auch: „Kein Problem. Kann ich Ihre Bankkarte haben?“ – „Gern!“ Er zog sie durch. Fünf mal. Ohne Ergebnis. Dann: „O, die ist nicht von unserer Sparkasse.“ – „Ja, aber von der Kasseler Sparkasse. Ihr gehört doch zusammen.“ – „Ja und nein. Sie müssten das gewechselte Geld aus dem Automaten ziehen. Das geht nur, wenn Sie hier ein Konto haben.“ – „Ich kann hier bei euch nicht mal meine drei Hunderter gewechselt kriegen?“ Der Filialleiter – wir kennen uns – kam: „Ja, ist leider so, Bernd.“

Ich war leicht erregt: „Ich hab also Glück, dass ihr überhaupt noch Öffnungszeiten habt, und dann kann ich trotzdem nicht mal Geld wechseln?“ Der Filialleiter sagte: „Ganz ruhig, Bernd. Wir finden schon einen Weg!“ Ich hörte ihn gar nicht mehr. Er ging zu einem Paar, das bereits Geld gezogen hatte. „Kann ich mal eure Karte haben?“ Ohne Zögern sagten die: „Klar!“ Dann zog er mir mit deren Karte mein Kleingeld. Wir drei staunten. Ich flüsterte: „Geldwäsche!“ Sie nickten. Der Filialleiter zwinkerte: „Keine Sorge. Erscheint nicht auf eurem Konto.“

Mir war geholfen, aber ich dachte: „Wenn Banken kein Geld mehr wechseln und Tankstellen Schlösser nicht mehr ,gängig' machen können, dann ist die Welt verrückt!“ Und das sind ja nur die kleinen Sachen!

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