Die Wahrheit: Wenn Fische Hunde küssen
Der Wellnesswahn geht weiter, immer weiter. Im norddeutschen Raum pediküren jetzt Fische Menschenfüße.
J enseits des weltpolitischen Geschehens gab mir der Name des neuen Geschäfts um die Ecke Rätsel auf. Der Text am Schaufenster las sich wie eine Hieroglyphe, war so unverständlich, dass mir einfiel, zu den Gegnern des Schlagworts vom lebenslangen Lernen zu gehören. Denn der heuchlerische Begriff meint ja, von jedem zu verlangen, als verwertbare Arbeitskraft nach den Marktgesetzen flexibel zu funktionieren. Oder so ähnlich. Aber man lernt unvermeidlich Tag für Tag dazu.
Ich radelte also an diesem Laden vorbei. „Knabberzeit“ stand da und darunter: „süße Küsse für die Füße“. Ich stutzte, fuhr schulterzuckend weiter, anderes schwirrte mir wohl durch den Kopf. Aus anderer Richtung erfuhr ich bald, was es mit dem knabbernden Küssen oder küssenden Knabbern auf sich hat. Eine Freundin sagte, der Betrieb dort biete „Fischpediküre“ an. Wie bitte? Ist ’n Witz, oder? Ich gestehe, ich hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, was hinter dem Ausdruck steckt, vermutlich, weil ich auf das Wort Wellness allergisch reagiere.
Eine selbstredend akribische Recherche brachte das Phänomen an den Tag: Die Mitmenschen, die das schick finden, tauchen ihre Füße in ein Becken, wo zig rötliche Saugbarben aus der Familie der Karpfenfische schwimmen. Die „saugen, knabbern, kitzeln oder küssen“, verrät das Unternehmen. Weiteres aus der Werbung: Die Fische „sorgen durch ihr natürliches Verhalten, dem Abknabbern alter, abgestorbener Hautschuppen, für geschmeidige und schöne Füße“. Von einer „verbesserten Blutzirkulation“ ist noch die Rede, von den „jungen, neugierigen und quirligen“ Fischlein, von „Muskelentspannung, Linderung von Hautirritationen, Reduzierung der Hornhautbildung, Unterhaltung und ein natürlich schonendes Peeling“.
Natürlich setzen die Akteure „höchste Hygienestandards“ ein, und den Fischen geht es sowieso super. Und wie geht es den Kunden? „Ihr macht es euch bequem, genießt euren Cappuccino oder eure fritz-kola, haltet die Füße in unsere zwischen 28 und 30 Grad Celsius temperierten Becken und entspannt bei süßen Küssen für eure Füße.“
Obwohl ich hörte, dass diese eigentümliche Beziehung zwischen Mensch und Fisch in ferneren Ländern eine längere Tradition habe, mutet es mich dekadent an. Stellte mir vor, dass die nächste Stufe der Wellness-Ideen darin bestehen wird, die Fischpediküre in die beliebte Physiotherapie für Haushunde einzugliedern, die man mittlerweile umfänglicher zu behandeln scheint als einfache Menschen. Hund und Fisch vereint!
Im selben Zeitraum nahm ich übrigens zwei weitere mir bislang unbekannte Erscheinungen wahr: Im Kino drückten sie uns mit der Eintrittskarte einen Gutschein in die Hand: „Upgrade: aus Popcorn groß wird Jumbo!“ Zweitens verkündete die Kehrseite der Verpackung einer Schokolade: „Du brauchst uns nicht, um dir zu erzählen, dass Schokolade dein Gehirn glücklich macht, darum reden wir jetzt über deinen Magen.“ Die nächsten Recherchen stehen folglich an, und mir ist schon schlecht.
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