Die Wahrheit: Monoglott ist Polyglott
Eine Sprache tut es auch ganz gut zur Verständigung – Fremdsprech ist voll out. Das ist nichts als Angeberei.
Es gibt unterschiedliche Theorien dazu, weshalb sich Esperanto als Weltsprache nicht durchgesetzt hat. Eine besagt, Esperanto sei gar kein Esperanto, sondern schlechtes Polnisch, was daran liege, dass der Erfinder des Esperanto Pole war.
Diese Begründung ist Unfug, denn dann müsste Esperanto gutes Polnisch sein. Die Wahrheit ist, dass Esperanto aus dem gleichen Grund nicht als Universalsprache taugt wie Portugiesisch, Schwäbisch oder selbst Englisch: weil der Mensch nur widerstrebend eine fremde Sprache erlernt.
Dies gilt selbst dann, wenn beispielsweise ein in Peru geborener und aufwachsender Bulgare Bulgarisch lernen soll. Eigentlich seine Muttersprache, für ihn in dieser Lage aber zweifelsohne eine Fremdsprache. Das Argument, dies sei schließlich die Sprache seiner Vorfahren, geht, wenn man die blutstümelnde Raunerei, zu der der Mensch mitunter neigt, einmal beiseiteschiebt, ins Leere.
Mit seinen Vorfahren muss man sich nicht unterhalten, jedenfalls nicht, wenn sie, was ein Wesensmerkmal von Vorfahren ist, schon lange tot sind. Auch die Auswertung ihrer Tagebücher kann man getrost der Wissenschaft überlassen.
Manns Tagebücher sind nicht auf bulgarisch
Wobei die allerwenigsten Menschen Vorfahren haben, die in irgendeiner Hinsicht relevante Tagebücher hinterlassen haben, außer man ist Nachkomme von Thomas Mann, aber dessen Tagebücher sind bekanntlich auf Deutsch verfasst, da würde es überhaupt nicht helfen, wenn man sich jetzt mit viel Mühe Bulgarisch beigebracht hätte.
Allein die Enttäuschung: Da hat man sich jahrelang im spanischsprachigen Peru, vielleicht gar in einem abgelegenen Bergdorf ohne Internet und ohne fremdsprachige Spezialbibliothek, mit dem Erlernen des kyrillischen Alphabets, mit bulgarischer Grammatik und Orthografie gequält, wurde von den Mitschülern belächelt und von den Nachbarn für etwas komisch gehalten, und wenn dann endlich die Tagebücher von Thomas Mann vor einem liegen, sind die gar nicht auf Bulgarisch! Darum handeln die allermeisten Menschen rational, wenn sie es dabei belassen, die an ihrem Wohnort überwiegend verwandte Sprache zu erlernen.
Kurt Tucholsky hat sich bereits 1930 abschließend zu der Frage geäußert, ob man in fremden Dialekten oder gar Sprachen dilettieren sollte. In dem in der Weltbühne erschienenen Text „Der Henrige“ singt sein Berliner Vetter zur Gitarre ein Wiener Lied, das dem jungen Wein gewidmet ist: „Beim Henrigen, beim Henrigen …“ Der Gute war beim Abschreiben des Textes einem Druckfehler aufgesessen, den er, da er kein Wienerisch beherrschte und auch niemals in Wien gewesen war, nicht bemerkt hatte. Man möge, so Tucholsky, doch bitte bei seiner Muttersprache bleiben.
Natürlich können Fremdsprachen in bestimmten besonderen Lebenslagen sehr wohl von Vorteil sein. Die jüngere deutsche Geschichte zeigt, dass in Lagern jene Gefangenen die besten Überlebenschancen hatten, die von den Bewachern als Dolmetscher eingesetzt wurden. Was sollte man unter diesem Gesichtspunkt als Deutscher heutzutage wählen? Englisch und Französisch eher nicht. Russisch vielleicht. Oder doch gleich Chinesisch oder Arabisch?
Gewürzmischung nur nachmittags ab drei
Oftmals erwarten die Einheimischen von den Zugezogenen das mühselige Erlernen ihrer Sprache. Angeblich wegen der Integration, tatsächlich aber, damit sie was zum Lachen und zum Sichüberlegenfühlen haben. Ja klar, der Ausländer verdient zwar Millionen und hat die schönste Frau, aber er kennt noch nicht einmal den Unterschied zwischen yuong pam sen, was Gewürzmischung heißt, und yuong sem pan, was auch Gewürzmischung heißt, aber nur nachmittags ab drei, oder wenn man es im Beisein einer unverheirateten Frau sagt. Prustend schlagen sich die Einheimischen auf die Schenkel: was für ein armer Kerl!
Polyglotterie, zumal die im Gespräch mit den eigenen Kindern in der Öffentlichkeit zelebrierte, ist nichts als Angeberei. Aber natürlich kann man in seinem Leben auch einmal eine fremde Sprache erlernen. Warum denn nicht? Aber doch nicht schon zwanzig Jahre vorher, im Kindergartenalter!
Kein Dreijähriger in Leipzig oder Hamburg möchte wirklich „Rotkäppchen und der Wolf“ auf Englisch („Little Red Riding Hood“) oder Französisch („Le Petit Chaperon Rouge“) vorgelesen bekommen, es sei denn, er kennt die Geschichte bereits, findet sie doof und hat daher gar nichts dagegen, wenn er nix versteht. Das alles hat auch nichts mit Karriereplanung und zukünftiger Leadership zu tun. Das Kind hat später überhaupt nichts davon, denn selbst in Bewerbungsgesprächen bei internationalen Konzernen wird der Personalchef nur äußerst selten plötzlich auf Englisch hervorstoßen: „Damit ich dich besser fressen kann!“
Wenn man als Bewerberin allerdings auf alle Fälle und unbedingt mit: „Für diese Bemerkung gehören Ihnen die Eier abgeschnitten, Herr Doktor Schrödel!“ antworten möchte, kann es, sofern einem etwas an der Stelle liegt, hilfreich sein, dies auf Esperanto zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben