piwik no script img

Die WahrheitDu sitzt nicht allein

Gegen das Grauen auf dem Nebensitz im Fernbus wird jetzt das Kontakte fördernde „Social Seating“ angeboten.

Meist kann man sich seinen Sitznachbarn nicht aussuchen. Foto: Reuters

Fernbusse sind ein soziales Verkehrsmittel, konnte man neulich in einer Zeitung lesen, die in einem Bus liegengeblieben war. Ein gewisser Daniel Krauss von FlixBus behauptete sogar, dass in Bussen mehr Interaktion stattfindet als in Flugzeugen oder der Bahn. Herr Krauss hat wohl nie in einem Bahnabteil gesessen, in dem die elektronische Reservierung ausgefallen ist: Mehr soziale Interaktion kann man nicht haben!

Doch in einem Punkt liegt Herr Krauss interaktiv vorn: Er bietet in seinen Bussen den jüngeren netzaffinen Kunden das „Social Seating“ an. Das bedeutet, im Bus gibt es keine Sitzordnung nach sozialer Schichtzugehörigkeit, sondern angeblich verbesserte Sozialkontakte beim Zusammensitzen, da sich bei der Buchung Mitreisende mit gleichen Interessen zusammenfinden.

Die Interessenten können sich beim Social Seating vorab bei Facebook über die Vorlieben ihres Reisepartners informieren. Im Idealfall wird dann aus dem unpersönlichen Fernverkehr im Bus ein sozialer Nahverkehr der Sitznachbarn.

Keine Tiere mit mehr als sechs Beinen

Bei Air France-KLM wird das verbindende Social Seating bereits praktiziert, vermutlich auf Initiative von Monsieur Strauss-Kahn, dem Unersättlichen. Was aber Herr Krauss und Herr Strauss nicht bedacht haben, ist die Tatsache, dass den meisten Reisenden wichtiger ist, welcher Sitznachbar nicht neben ihnen sitzen sollte. Der Sitznachbar sollte nicht telefonieren, keine Chips oder Döner essen. Er sollte nicht beim Telefonieren Pommes frites futtern, sich nicht die Nägel schneiden und dabei kein Bier trinken. Der Sitznachbar sollte nichts ausdünsten, kein Nazi, Hooligan oder Bayern-München-Fan sein, und er sollte kein haarendes Tier sein. Tiere mit mehr als sechs Beinen sind den meisten als Nachbar ebenfalls unerwünscht.

Der Mitreisende auf dem Nebensitz sollte außerdem nicht zu breit sein und doch stark genug, um unser Gepäck in die Ablage zu wuchten. Ferner sollte der perfekte Mitreisende kein Mann sein, sondern eine wunderschöne Frau, die Stullen für die Reise geschmiert hat und die ihren Proviant gern teilt. Sie sollte aber keinesfalls Dsch-dsch-dsch-Musik über Kopfhörer hören, nicht dauernd auf einem iPhone oder Laptop herumwischen und keine vom Nebensitz schwer lesbaren SMS in ihr Handy tippen.

Im Grunde, so fand die Sitzwunschforschung heraus, möchten 97 Prozent aller Fernreisenden neben überhaupt niemandem sitzen. Wir kennen alle das Gauß’sche Busplatzverteilungsmuster, ein Phänomen, nach dem sich jeder Reisende in Bus und Bahn zunächst eine leere Sitzbank sucht, die erst dann von Mitreisenden aufgefüllt wird, wenn es keine leere Sitzbank mehr zu besetzen gibt.

Die meisten wollen mutterseelenallein sein

Von wegen Social Seating, Otto Normalmitreisender will möglichst mutterseelenallein sein! Im Grunde möchte er sogar am liebsten den ganzen Bus für sich allein haben. Er will den eigenen Busfahrer, eine gut gefüllte Bordbar, eine ordentlich sortierte Bordbibliothek, aktuelle Zeitschriften und eine blubbernde Kaffeemaschine!

Diese Erkenntnis haben sich die Betreiber von Ego-Tours zunutze gemacht: Dort wird strikt nach dem „Asocial-Seating“-Prinzip verfahren. Dabei gibt es kein umständliches Sitznachbar-Booking wie bei Facebook, beim Ego-Tours-Konzept ist ein Einzelbus selbstverständlich, ein wortkarger Fahrer Standard. Denn schließlich wird der Mensch allein geboren, er ist allein, wenn er umziehen möchte und er ist allein, wenn er in die Kiste fährt. Oder möchte da draußen irgendwer einen Sitznachbarn aus dem sozialen Totennetzwerk Faceskull neben sich haben? Keine Meldung…?

Die lange Reise im letzten Fernbus möchten wir Ego-Touristen offensichtlich doch alle exklusiv und solo im eigenen Sarg antreten.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich glaube sogar daran,dass wir Menschen nur notgedrungen soziale Wesen sind und dem zu entgehen versuchen,wo es nur geht.

    Wer will nicht lieber im eigenen Auto fahren anstatt in einem Bus,Zug oder Flugzeug?Wer will nicht lieber alleine wohnen,anstatt mit der Familie?

    Dem Willen Anderer ausgeliefert zu sein ist die Hölle.

    • @Markus Müller:

      Danke für diesen herrlichen Kommentar. Meine Ergänzung: Das Leben ist die Hölle und oft helfen Andere es erträglich zu machen.

    • @Markus Müller:

      Wie schade, dass "die lange Reise im letzten Fernbus", die wir alle "solo im eigenen Sarg antreten", eine Reise ohne Rückfahrticket ist. Ich möchte wette, Sie würde Ihre Meinung schlagartig ändern, nachdem Sie ein paar Tage in der echten Hölle "Urlaub vom Wir" gemacht haben.