piwik no script img

Die WahrheitLasset die Durstspiele beginnen!

Seit einiger Zeit verschwinden in Berlin Flaschenpfandsammler. Und auch der Reporter eines Investigativ-Teams ist unauffindbar …

Foto: Montage: TAZ Fotos : Promo und getty

Die Welt ist schlecht, hart und brutal – vor allem, wenn man kein Geld hat“, so formulierte es einst der Aristokrat und Dichter Henry le Snobb und ergänzte: „Wie gut, dass ich in den Moneten schwimme.“ Was im frühen 19. Jahrhundert galt, gilt heute umso mehr. Die Zeiten werden spürbar härter für diejenigen, die am unteren Rand unserer Gesellschaft ums nackte Überleben kämpfen müssen. Sie greifen nach jedem Strohhalm beziehungsweise Flaschenhals, um ihr tägliches Brot zu verdienen. Das wollte unlängst auch ein Reporter des Teams Wallraff am eigenen Leib erfahren – und verschwand spurlos in der grausamen Unterwelt Berlins.

Aber zunächst zu den traurigen Fakten: Die Zahl der erwerbsmäßigen Pfandflaschensammler wächst seit Jahren, nun wurde sie erstmals offiziell erfasst. Bundesweit soll es laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts mittlerweile 3,8 Millionen von ihnen geben. Berlin ist dabei die Hauptstadt der Flaschensammler: 460.000 durchforsten hier regelmäßig die Mülleimer und Büsche nach dem begehrtem Leergut.

Doch mit immer weniger Erfolg, denn die weggeworfenen Flaschen reichen längst nicht mehr für alle. Hinzu kommt, dass in den letzten Wochen massenweise griechische Flaschensammler in allen größeren deutschen Städten aufgetaucht sind, die die krisensichere Währung Glas nur allzu gut zu schätzen wissen.

Das ist aber nur die Spitze des Mehrwegbergs, eine weitere und viel größere Gefahr droht, wie aus gut unterrichteten Pfandflaschenkreisen zu vernehmen ist. Denn immer mehr Berliner Flaschensammler verschwinden spurlos und werden nie wieder gesehen. „Wir sind überaus besorgt und können uns keinen Reim darauf machen“, sagt Horst Bratzmann, Vorsitzender der Deutschen Pfandsammlergewerkschaft (DPSG). Das Verschwinden sei gerade jetzt ärgerlich, wo man einen groß angelegten Streik nach dem Vorbild der Postbelegschaft plane, erklärt er weiter. Die Gewerkschaft wolle nun eine Belohnung von 25 Cent für jeden zurückgebrachten Flaschensammler zahlen. Doch wird dies kaum helfen, denn was Bratzmann nicht weiß: Die Wirklichkeit schlägt mit unglaublicher Brutalität zu.

Berlin ist die Hauptstadt der Flaschensammler

Das Verschwinden der Sammler kurz vor dem Streik ist zwar mysteriös, jedoch nicht das Seltsamste an der Sache. Denn die Spur der Vermissten führt immer häufiger ausgerechnet in die reichsten Bezirke der Hauptstadt, wo sonst kaum Pfandsammler anzutreffen sind. Das belegen erste Hinweise, die die DPSG erhalten hat. So sollen etwa die stadtbekannten Sammler Dosenharry, Korky und Professor Becks zuletzt in Charlottenburg gesehen worden sein, wo sie angeblich nach einem geheimen Flaschenschatz gesucht haben.

Das deckt sich mit den Recherchen des vermissten Mitarbeiters von Team Wallraff, der sich ebenfalls aus dem Berliner Westen zuletzt gemeldet hatte. Wie es ihn dorthin verschlagen hat, ist jedoch unklar, denn eigentlich hatte er sich vor ein paar Wochen in die Ostberliner Flaschenszene eingeschleust, um dort eklatante Missstände wie verschmutzte Mülleimer und verkeimte Pfandrückgabeautomaten aufzudecken. Auf bislang unerklärliche Weise scheint er dabei in dunkle Kreise geraten zu sein, die ihm schließlich zum Verhängnis wurden.

Vor wenigen Tagen ist unweit des Schlosshotels Grunewald seine Ausrüstung samt versteckter Kamera in einem Pfandautomaten gefunden worden. Man hat die schockierenden Aufnahmen der Wahrheit-Redaktion zugespielt. Der Inhalt des Videos ist schockierend. Und damit ist nicht nur die anfangs zu sehende offenbar nackt abgehaltene Redaktionssitzung des Teams Wallraff gemeint, bei der die investigativsten Reporter Deutschlands über neue Themen diskutieren: Fußpilzgefahr im Hallenbad, geheime Machenschaften der Parkplatzmafia oder auch Enkeltrick 4.0.

Wirklich grotesk und erschütternd wird es in der zweiten Hälfte des Videos. Der Zuschauer sieht zuerst ein Verlies mit düsteren Gängen, in denen Lumpen und Unrat herumliegen. Es sind immer wieder gequälte Schreie zu hören. Dann blickt man plötzlich durch ein Gitter in eine Art Arena, wie man sie von Hundekämpfen oder vom Schlammcatchen her kennt. Umrahmt wird das Areal von langen Reihen prächtiger, juwelenbestückter Throne, auf denen regungslos perückentragende Neo-Aristokraten sitzen. Banner wehen im leichten Wind und weiß gekleidete Diener servieren gebratene Wachteln und frische Trauben auf silbernen Tabletts.

Dann öffnet sich das Gittertor langsam und der Reporter wird von hinten unsanft in die Arena gestoßen. Nun wird klar, er war wirklich mittendrin und musste offenbar selbst erleben, wie es den Pfandsammlern ergeht. „Lasset die fröhlichen Spiele beginnen!“, erschallt es donnernd in der Arena. Dann sieht man wie aus fünf Richtungen raubtierartig weitere ausgemergelte Pfandsammler heranschleichen. Mit einem großen Gong fallen Flaschen von oben herab in die Mitte des Kampfplatzes: 8 Cent und 15 Cent Mehrweg, Bierflaschen mit und ohne Bügelverschluss, 25 Cent Einweg PET und sogar Joghurtgläser sind dabei!

Mit Plastiktüten gehen Sammler auf Rivalen los

Nun geht es wild durcheinander, die Kombattanten stürmen aufeinander ein und versuchen mit gigantischen Käschern die Flaschen einzufangen, andere gehen mit Plastiktüten auf die Rivalen los und wollen diese damit ersticken. Wieder andere verstricken sich in regelrechte Ringkämpfe – Knochen brechen, Sehnen reißen, Augäpfel platzen.

Es sind brutale und schwer verdauliche Szenen, die sich abspielen. Schnell wird dem Betrachter klar, dies ist ein Kampf auf Leben und Tod. Dann endet die Videoaufzeichnung plötzlich, noch bevor das Gemetzel zu Ende ist. Offenbar war der verdeckte Reporter den anderen Kämpfern unterlegen. Was anschließend mit ihm geschah, bleibt vorerst Spekulation. Wurde seine Habe inklusive der Kamera dem siegreichen Pfandkämpfer zugesprochen? Wurde dem Sieger schließlich die Freiheit geschenkt? Wie kam die Ausrüstung in den Automaten?

Das alles muss bis auf Weiteres unbeantwortet bleiben. Umso tiefer sitzt der Schock, dass so etwas in unserer Gesellschaft möglich sein soll. Superreiche, die zum Spaß die Ärmsten aufeinanderhetzen und um ein paar Euros kämpfen lassen. Man ist vieles gewohnt in diesen schweren Zeiten , doch dass die Menschlichkeit auf derart grausame Weise versagt, macht sprachlos und wütend.

Recherche undercover in einer antiken Pferdekutsche

Vor allem, weil noch vieles im Dunklen liegt bezüglich des elitären Zirkels, der sich an diesen „Tributen von Pfandem“ erfreut. Man fragt sich unweigerlich: Wer sind die Hintermänner und warum tun sie das? Wo befindet sich diese große Arena? Wie werden die Pfandsammler überhaupt entführt? Warum reagiert die Polizei nicht? Und warum, verdammt noch mal, schweigt Angela Merkel?

Diesen elementar wichtigen Fragen will nun offenbar Günter Wallraff, der Chef des ums Leben gekommenen Reporters, persönlich auf den Grund gehen. Er soll eine dunkelbraune Lockenperücke, weißen Puder und eine antike Pferdekutsche besorgt haben und sich aktuell bereits undercover als reicher Menschenverächter um rückhaltlose Aufklärung bemühen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der Veteran der verdeckten Recherche dabei nicht in zu große Gefahr begibt. Wir wollen ihn schließlich nicht bald tot in einem Altglascontainer auffinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!